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An den Freundeskreis in Weimar

[6. Januar.]

Nach allem diesen muß ich noch von der Unschlüßigkeit reden die mich wegen meines Aufenthaltes in Italien anwandelt. In meinem letzten Brief schrieb ich meinen Vorsatz: gleich nach Ostern von Rom zu gehen und meiner Heimat zuzurücken. Ich werde bis dahin noch einige Schaalen aus dem grosen Ocean geschlürft haben und mein dringendstes Bedürfniß wird befriedigt seyn. Ich bin von einer ungeheuren Leidenschafft und Kranckheit geheilt, wieder zum Lebensgenuß, zum Genuß der Geschichte, der Dichtkunst der Alterthümer geneßen und habe Vorrath auf Jahrelang auszubilden und zu kompletiren.

Nun aber kommen mir die freundlichen Stimmen daß ich nicht eilen, daß ich mit vollständigerem Gewinn nach Hause kommen soll, ich erhalte einen gütigen, mitfühlenden Brief vom Herzog, der mich auf eine unbestimmte Zeit von meinen Pflichten losbindet und mich über meine Ferne beruhigt; Mein Geist wendet sich dem ungeheuern Felde zu, das ich ganz unbetreten verlaßen müßte; so hab ich Z. B. im Fache der Münzen, der geschnittnen Steine noch gar nichts thun können. Winckelmanns Geschichte der Kunst hab ich angefangen zu lesen, und habe erst Egypten zurückgelegt und fühle wohl daß ich nun erst wieder von [119] vorne sehen muß; auch hab ich es in Absicht auf die Egyptischen Sachen gethan. Je weiter hinauf desto unübersehlicher wird die Kunst und wer sichre Schritte thun will muß sie langsam thun.

Das Carnaval warte ich hier ab und gehe also etwa Aschermittwochen nach Neapel, ich nehme Tischbein mit, weil ich ihm Freude mache und in seiner Gesellschafft dreyfach lebe. vor Ostern bin ich wieder hier, wegen der Feyerlichkeiten der Charwoche.

Nun aber liegt Sicilien noch daunten. Dahin wäre eine Reise nur mehr vorbereitet und im Herbste zu thun, auch nicht eine blose Durch und Umreise, die bald gemacht ist, wo von man aber nur das: ich habs gesehen! für seine Mühe und Geld mitbringt. Man müßte in Palermo nachher in Catanea sich erst festsetzen um sichre und nützliche Exkursionen zu machen und vorher D'orville Riedesel pp wohl studirt haben.

Bliebe ich also den Sommer in Rom, und studirte mich hier recht ein und bereitete ich mich auf Sicilien vor, wohin ich im September erst gehn könnte und Okt. Nov. und Dec. bleiben müßte so würde ich erst Frühjahr 88 nach Hause kommen können. Dann wäre noch ein Medius Terminus, Sicilien liegen zu laßen einen Theil des Sommers in Rom zu bleiben, sodann nach Florenz zu rucken und gegen den Herbst nach Hause zu ziehen.

Allein alle diese Aussichten werden mir durch des Herzogs Unfall verdunckelt. Seit den Briefen die mir[120] diese Ereigniß melden hab ich keine Ruhe und ich möchte am liebsten mit den Fragmenten meiner Eroberungen beladen nach Ostern gleich aufbrechenden obern Theil Italien kurz abthun und im Juni wieder in Weimar seyn. Ich bin zu einsam um mich zu entscheiden, und schreibe diese ganze Lage so ausführlich daß Sie die Güte haben mögen, in einem Concilio derer die mich lieben und die Umstände zu Hause besser kennen, über mein Schicksal zu entscheiden, vorausgesetzt, wie ich betheuren kann, daß ich geneigter bin zurückzukehren als zu bleiben. Das stärckste was mich in Italien hält ist Tischbein, ich werde nie und wenn auch mein Schicksal wäre das schöne Land zum zweitenmal zu besuchen, so viel in so kurzer Zeit lernen können als jetzt in Gesellschafft dieses ausgebildeten, erfahrnen, feinen, richtigen, mir mit Leib und Seele anhängenden Mannes. Ich sage nicht wie es mir schuppenweise von den Augen Fällt. Wer in der Nacht steckt hält die Dämmrung schon für Tag, und einen grauen Tag für helle, was ists aber wenn die Sonne aufgeht?

Dann hab ich mich bisher aller Welt enthalten, die mich so nach und nach zu faßen kriegt und die ich auch wohl gern mit flüchtigen Blicken beobachtete.

Ich habe Fritzen scherzend von meiner Ausnahme in der Arkadia geschrieben, es ist auch nur darüber zu scherzen, denn das Institut ist zu einer Armseligkeit zusammengeschwunden.

[121] Montag über acht Tage wird das Trauerspiel des Abbate Monti aufgeführt, es ist ihm sehr bang und er hat Ursache, es ist ein unbändiges Publikum, das von Moment zu Moment amüsirt seyn will, und sein Stück hat nichts brillantes. Er hat mich gebeten mit in seine Loge zu gehn um ihm als Beichtvater in diesem kritischen Augenblicke beyzustehn. Ein andrer wird meine Iphigenie übersetzen, ein dritter Gott weiß was zu meinen Ehren thun. Sie sind sich alle unter einander so ungünstig, jeder möchte seine Partey verstärcken, meine Landsleute sind auch wie mit einer Stimme für mich, daß wenn ich sie gehen liebe und nur ein wenig einstimmte; so singen sie noch hundert Thorheiten mit mir an und krönten mich zuletzt auf dem Capitol, worauf sie schon im Ernste gesonnen haben, so toll es ist einen Fremden und Protestanten zum Protagonisten einer solchen Comödie auszusuchen. Wie das alles aber zusammenhängt und wie ich ein großer Thor wäre zu glauben daß das alles um meinetwillen geschähe, dereinst mündlich.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An den Freundeskreis in Weimar. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8825-6