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An Anne Germaine de Staël-Holstein

Wenn diesmal durch mancherley Zusammentreffendes mein Abschied von Hause mir empfindlicher ward als gewöhnlich; so hatte der Gedancke, daß ich Sie, verehrte Freundinn, auf Ihrer Durchreise nicht sehen sollte, keinen geringen Antheil an diesen Gefühlen.

Darein jedoch, wie in so manches, mußt ich mich ergeben und nun leb ich seit zehn Tagen in dem anmuthigsten Frühling, der hier durch Gegensätze noch schöner wird. Die Blüten, das junge Grün der Bäume, der Berg- Matten, zwischen finstern Felsen, duncklen Fichtenwäldern, um graue Holzgebäude, scheinen noch einmal so schön; wovon Sie auf Ihrem Wege gewiß manches Beyspiel gefunden haben. Und nun eben da ich mich wieder glücklich fühle, erneuen Sie jenen Kampf, indem Sie mich auf eine so Freundliche Weise nach Dresden einladen.

Daß ich aufrichtig rede! Wenn sie mich zu irgend einem einsamen Bergschloß beschieden hätten, wo ich hoffen könnte, Sie, von wenigen Vertrauten umgeben, in ruhiger Sammlung zu finden, und einige Tage mit Ihnen zu verleben; nichts sollte mich abhalten Sie aufzusuchen und jene glücklichen Stunden zu erneuern, die uns an Ihrer Seite früher geworden sind. Dencke ich mir aber die bedeutende Stadt, geziert mit köstlichen Kunstwerken, umgeben von einer herrlichen[67] Natur, und Sie mitten in einer zudringenden Gesellschaft; so sehe ich schon zum Voraus den Zweck meiner Reise vereitelt, ich fühle die Hindernisse mich mittheilen zu können, die Anlässe zu Verstimmungen und ich schreibe verdrieslich.

Lassen Sie mich also, beste Freundin, in meiner Einsamkeit verharren, wo ich Ihrem Andencken so manche Stunde wiedme, wo ich eifrig wünsche, daß Sie in Dresden fröhlich, und in Weimar auch meiner Eingedenck seyn mögen.

Geben Sie ja bald Ihre Bemerkungen über uns ehrliche Deutsche! Wir verdienen durch den guten Willen einer freundlichen Nachbarinn und Halb- Landsmännin aufgeregt, ermuntert zu werden und uns in einem so lieben Spiegel zu beschauen. Erlauben Sie mir sodann, was ich so gern schon nach gelesner Corinna gethan hätte, meine lebhafte Theilnahme an Ihnen selbst und Ihren Arbeiten, meine Verehrung, meine Bewunderung auch einmal schriftlich und umständlich vorzulegen.

Ihrem Begleiter und Ihrer Umgebung die besten Grüsse.

Carlsbad ce 26. May 1808.

Goethe. [68]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1808. An Anne Germaine de Staël-Holstein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8852-F