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An August Wilhelm Schlegel

Weimar am 2. Octbr. 1803.

Die Beylagen werden mich genugsam entschuldigen, wenn ich auf Ihre theilnehmende Briefe nicht schneller antwortete, ja wenn ich heute nur einen flüchtigen Laut von mir hören lasse.

Seit einigen Wochen bin ich mit der Ausstellung beschäftigt, deren Einrichtung immer viel Mühe macht, die Abende habe ich meist dem Cäsar gewidmet, um ihn, im einzelnen und im ganzen, zu probiren. Ich habe mich recht gesammelt, mit völligem Bewußtseyn diese schwierige Unternehmung zu leiten, und ich kann sagen daß alle, die dabey zu thun haben, sich nach Vermögen bestrebten mit dem Autor und Übersetzer zu wetteifern.

[315] So eben erhalte ich ein Billet von Freund Schillern und lasse ihn sprechen:


Diesen Vormittag gehe ich nach Jena. Ich nehme einen großen Eindruck mit und über 8 Tage bey der zweyten Vorstellung werde ich Ihnen etwas darüber sagen können. Es ist keine Frage daß der Julius Cäsar alle Eigenschaften hat um ein Pfeiler des Theaters zu werden. Interessante Handlung, Abwechslung und Reichthum, Gewalt der Leidenschaft und sinnliches Leben vis a vis des Publikums- und der Kunst gegenüber hat er alles was man wünscht und braucht. Alle Mühe, die man also noch daran wendet ist ein reiner Gewinn und die wachsende Vollkommenheit bey der Vorstellung dieses Stücks muß zugleich die Fortschritte unsers Theaters zu bezeichnen dienen.


Wie gern möchte ich Sie nun bald mit diesem Stück bewirthen um es durch Ihre Gegenwart, Berathung und Theilnahme immer weiter zu steigern.

Wie Sie uns besuchen, so gewinnen wir für das kritische Institut sehr viel; denn schreiben läßt sich warlich jetzt nicht was man über die Lage unserer Litteratur denkt.

Schreiben Sie mir voraus wann Sie einzutreffen denken? kann ich Sie nicht selbst logiren; so besorge ich Ihnen ein Quartier in der Nähe und an meinem Tisch sollen Sie immer heitere Gesellschaft finden. Bis dahin sey manches verspart. Heute nur noch so viel:

Haben Sie ja die Gefälligkeit Herrn Steffens zu ersuchen daß er bald die Reihe Schriften anzeigt, [316] welche er nachzuholen und zu beurtheilen geneigt ist. Sobald ich nur ein wenig zur Besinnung komme schicke ich einen Brief für ihn. Es thut mir sehr leid ihn nicht gesprochen zu haben.

Dank für die Blumensträuße! Es sind wirklich Erscheinungen aus einer andern Welt.

Wenn Sie zu uns kommen hoffe ich Ihnen wenigstens einige Scenen aus dem Calderon bey verschlossenen Thüren sehen zu lassen. Ich habe didaskalische Stunden eingeleitet, die mir viel Vergnügen gewähren und wodurch die öffentlichen Vorstellungen sehr gewinnen. So habe ich seit acht Wochen drey Junge Leute, die noch nie oder kaum auf dem Theater gewesen, dergestalt zugerichtet, daß sie im Cäsar ein lingend auftreten konnten. Ohne diese Vorbereitung wäre diese Vorstellung unmöglich gewesen.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1803. An August Wilhelm Schlegel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-885B-E