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An Carl August Varnhagen von Ense
Leider muß ich diesen meinen Brief auch mit dem tief empfundenen Bedauern anfangen, daß wir den hochbegabten bedeutenden Reihenführer, so wohlgegründeten und mannichfaltig thätigen Mann und Freund, obgleich nicht ganz unbefürchtet, verloren haben. Das Fundament seiner Lehre lag außer meinem Gesichtskreise, wo aber sein Thun an mich heranreichte oder auch wohl ihn meine Bestrebungen eingriff, habe ich immer davon wahren geistigen Vortheil gehabt.
Das mir angemeldete Exemplar der Briefe des Lebenden aus der Unterwelt ist im zierlichsten Band bey mir angekommen. Mein bester Dank an den geistreichen Verfasser folgt hierbey. Etwas darüber öffentlich zu sagen, würde mir jetzt nicht gelingen, und ich darf es um so weniger unternehmen, als ich leider auf den ersten Seiten mir selbst begegnet bin. Ich glaube mich in dem Danksagungsschreiben an den trefflichen Verfasser noch mäßig genug in einem sehr unangenehmen Fall ausgedruckt zu haben. Wenn ein namhafter Mann Ursache findet, so sollte man ihn billig keine Schlafsrockspredigten halten lassen.
Ihnen, mein Theuerster, gelingt überhaupt jedes Biographische im weitesten Sinne zum allerbesten.[193] Der unselige Schlabrendorf ist Ihnen trefflich gerathen, wenn seine hinterlassenen Papiere leider auf's greulichste gegen ihn zeugen. Daß doch, eben in dem vergangenen Jahrhundert, vorzüglich gute Menschen sich im Absonderlichen, Abstrusen bis in's Absurde hinein gefielen und nur Stahl- und Steinfunken in die Nacht, in den Tag aber Dunstgranaten hineinzuwerfen sich erlustigten. Ich wollte, es wäre alles anders gewesen und ich irrte mich.
Jenen Aufsatz über die französischen wissenschaftlichen Händel, die jetzt vor der großen Bewegung wenigstens unsern Augen entschwunden, habe damals gleich fortgesetzt, mit demselbigen Motto. Er ist weitläufig und wunderlich geworden und doch keineswegs erschöpfend, an Hin- und Herdeuten hat es nicht gefehlt. Ich sende es nächstens; müßte Sie es zu Ihren Zwecken nicht zu benutzen, so erbitte mir solches wieder zurück.
Die Anzeige unsres werthen Carus von meinem letzten deutsch-französischen Hefte wird mich höchlich erfreuen und fördern. Mit den neu hervortretenden Betrachtungen über die Spiralität übergeben wir den Nachkommen mehr einen gordischen Knoten als einen liebevollen Knaul. Auf diesen Punct hab ich große Aufmerksamkeit verwendet, andere mögen auch sehen wie sie zurecht kommen.
Soweit war geschrieben, als Ihre angenehme Zuschrift mich zum neuen Jahre erfreute. Gegenwärtiges[194] sende jedoch sogleich ab, da Sie daraus ersehen daß sich alles so schön und gut als möglich anläßt. Ich fahre sogleich fort, eine weitere Mittheilung zu dictiren, da ich noch manchen höchst interessanter Anlaß finde. Lassen Sie uns versuchen, ob nicht, bey so manchem Veränderlichen, Anlaß, ein folgerechtes Zusammenwirken wenigstens für die nächste Zeit einzuleiten, sey. Diejenigen, die sich eigentlich immer einzelner zusammen. Der treffliche Seebeck hat uns auch verlassen, ohne daß die letzte Zeit unsre Thätigkeiten genugsam in einander gegriffen hätten. Mehr sag ich nicht, vielleicht ist das schon zuviel. Möge Ihnen im Äußern und Innern das Vorzüglichste gelingen!
und so fortan!
J. W. v. Goethe.