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An Carl Ludwig von Knebel

Eger den 23. August 1822.

In den letzten Tagen meines Hierseyns muß ich noch, verehrter und geliebter Freund, dir danksagen für die freundliche Sendung vom Anfange des vorigen Monats. Sie erquickte mich und gab mir Rath zu weiterem Leben und Streben, das ich nun schon in der zehnten Woche auswärts bestehe und verfolge. Alles ist mir wohl gelungen und ich habe manche schöne Gelegenheit ergriffen, sowohl der Natur als den Menschen etwas abzugewinnen.

Des Herrn Grafen Kaspar v. Sternberg längst gewünschte und immer verspätete persönliche Bekanntschaft war wohl das Vorzüglichste. Wenn wir andern so viele Jahre neben und mit einander hingingen und uns in Einem Elemente ausbildeten, so ist es kein Wunder, daß wir, mehr oder weniger gleiches Sinnes, endlich in allen Hauptpuncten übereintreffen. Finden wir aber einen tüchtigen Mann, der sich gleichfalls aus jener Zeit herschreibt, wo sich Aussichten hervorthaten, Besinnungen entwickelten, Studien besondern Reiz ausübten, zu denen wir uns selbst bekennen, so ist eine solche Annäherung unendlich viel werth. Wir lebten zwey Wochen beysammen in Marienbad, wo Tausendfältiges zur Sprache kam; dann ging ich nach Eger voraus, theils um mich zu sammeln, theils im naturhistorischen Fache ihm manches vorzubereiten.

[126] Am 30. Juli kam er nach Eger, auf seiner Durchreise nach München, mit Dr. Pohl, dem brasilianischen Reisenden, der ihn begleitet, mit Berzelius, dem tüchtigsten und heitersten Chemiker, der nach Carlsbad zurückging, und so schieden wir denn nicht ohne wechselseitigen bedeutenden Nutzen nach fröhlichen Beysammenseyn.

Seit der Zeit habe ich Excursionen gemacht nach Folkenau, zu einem tüchtigen Bergmeister Lößl, wo mir ein Naturdichter bekannt ward, auf dessen durch Gicht contractestem Körper sich ein Cerebralsystem ausgebildet hat, das dem schlanksten Ehre machen würde. Dann besuchte ich Grafen Auersperg auf Hartenberg, die sehr ehrwürdige Lage eines reichen, von Geschäften zurückgezogenen, erfahrenen Mannes zum zweytenmal anzuschauen. Unerwartet war mir in seinem Wald- und Bergbereich eine Schule Brützler Spitzenarbeiten; die Vorsteherin machte mich bekannt mit allem Geforderten und Erreichten; ich bringe gar artige Probstücke mit.

Bey allen diesen Unternehmungen begünstigte mich die Neigung des Polizeyrath Grüner, der, in Eger geboren, durch seine Stelle in der ganzen Gegend Einfluß, durch seinen Charakter Neigung und Zutrauen erwerben mußte.

Mit ihm gelang mir auch ein Ausflug nach Redwitz, einem Städtchen, das sonst als ein Intermundium zwischen Kulmbach und Böhmen lag, jetzt aber, an [127] Bayern abgetreten, sich in neuere Verhältnisse zu schicken weiß. Die zweckmäßigste Thätigkeit in Fabricationen mancher Art, noch eine alte, seit Jahrhunderten bewährte Bürgerlichkeit, die sich, ohne Polizey, in vortrefflichem Fleisch, Bier und Brot, besonders auch in den unschätzbarsten Kaffebrötchen zu Tage legt, machten mir sehr viel Freude. Ich wohnte in dem Hause eines Fabrikherrn, der Sublimat (Muriate suroxygène de Mercure) und zugleich chrystallisirte Weinsteinsäure u. s. w. in großen Massen darstellt. Sein Sohn, der bey Trommsdorff einen Jährigen Cursus durchgearbeitet, hat mir soglaich mit Glück die Glasscheiben, die bey veränderter weißer und schwarzer Unterlage Gelb oder Blau darstellen, zu Dutzenden gefertigt, so daß das einfache Credo meiner Farbenlehre jedem Naturfreunde sogleich in die Hände geben kann.

Da mein Wirth alle Abgänge oben genannter Operationen (als das Gleugersalz u.s.w.) zu der Glasfabrication verwendet, besuchten wir auch die Hütte; ich sah daselbst mir unbekannte technische Wunder. Vor so vielen Jahren hatten wir das alles zuStützerbach im Kleinen gesehen; hier blasen sie zu Fenstertafeln Walzen zu 3 Fuß Höhe und gehen mit diesem glühend-schmelzend biegsamen Metall gerade um wie die englischen Bereiter mit ihren Gliedern. Das Gefährliche, mit Sicherheit ausgeübt, erregt eine bängliche Bewunderung. Auch entoptische Glaskörper erhielt ich dort durch schnelle Verkühlungen. Diesem [128] Capitel hoffe ich durch die Thätigkeit dieses jungen Mannes, dem ich die Anlage zu einem Apparat wohl geordnet zurückließ, viel zu gewinnen.

Eigentlich muß man reisen, um sein Erworbenes anzubringen und neu zu erwerben; was ich hier in einem Tage fand, daran laborire ich in Jena zwey Jahre, ohne zum Zweck zu gelangen.

Überhaupt habe ich diese zehen Wochen genutzt, um fast außer Athem zu kommen, alles habe, um ja nichts zu verlieren, in Tagebüchern und Actenfascikeln sorgfältig aufbewahrt, daß es den Freunden hoffentlich auch zu Gute kommen soll.

Und so sey denn, mein Theuerster, schönstens gegrüßt. Bey meiner Durchfahrt durch Jena werde dießmal nicht anhalten können, um so mehr suche ich mich einzurichten, daß ich einige schöne Herbsttage mit dir verleben könne, wobey dann manches zur Sprache kommen wird. Das herzlichste Lebewohl!

treulichst G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-88EF-2