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An Johann Lambert Büchler

[Concept.]
Wohlgeborener,
Insonders hochgeehrtester Herr.

Ew. Wohlgeboren höchst bedeutende Sendung, die mich in meiner Carlsbader Einsamkeit erfreulichst unterhielt, hat mich abermals von zwey alten Wahrheiten überzeugt: daß man nämlich vor die rechte Schmiede gehen solle und daß der Edelstein der Wahrheit durch die Folie des Irrthums nur desto glänzender hervortritt. Das dem Braunschweigischen Otto gegönnte allergnädigste Pathengeschenk würde sich so herrlich nicht ausnehmen, wenn es dem Sächsischen nicht abgesprochen wäre. Dadurch kommt die so wichtige Epoche jener Umwälzung wieder lebhaft in's Gedächtniß, wo ein großer, sich dem Kaiser gleichstellender Fürst zu Grunde geht, und durch Vertheilen seiner Besitzungen die Gestalt des Reichs vollkommen [64] verändert wird. Sagen Sie Herrn Dümgen und der theilnehmenden verehrten Gesellschaft für die uns gegönnte Belehrung den allerverbindlichsten Dank und erhalten mir die Erlaubniß zu fernern Anfragen.

Daß die Schale noch nicht gestochen und noch nicht bekannt sey, vermuthe aus Ihrem Stillschweigen und werde daher einen Abdruck veranstalten und dabey mit gehoffter Erlaubniß die gegebene Aufklärung nach meiner Weise dankbar benutzen.

Um aber eine fernere Gunst einigermaßen von meiner Seite zu verdienen, so darf ich, obgleich in diesem Fache völlig fremd, wohl hoffen, für die nächste Folge, nach wenigen Kräften, zu dem würdigsten Zweck mitzuwirken.

Wegen der bisherigen Versäumniß diene mir zur Entschuldigung: daß wir seit dritthalb Jahren beschäftigt sind, die akademische Bibliothek völlig umzubilden; das Local ist um ein Drittheil erweitert, indem man die älteren Hörsäle dazu gezogen; nur wenig Repositorien und Bücher stehen an der alten Stelle. Zu dieser Regeneration eines, seit dreyhundert Jahren flözweise über einander modernden Bücherschatzes kommt noch die Vereinigung der Schloßbibliothek, der ehemaligen Büttnerischen, welche eingeschaltet wird, indem man das Ganze in wissenschaftlicher Ordnung aufstellt und einen alphabetischen Catalog zu gleicher Zeit veranstaltet. Bey dieser Gelegenheit werden mehrere, bisher unberührte Abtheilungen [65] in's Klare gefördert, wie denn zum Beyspiel die Buderischen Manuscripte erst jetzt verzeichnet worden.

Rechenschaft von älteren auf deutsche Geschichte bezüglichen Manuscripten zu geben wird dadurch erschwert, daß kaum jemand hier zu finden, der sich in diesem Fach erfreute. Das augenblicklich Gegenwärtige zieht soviel Aufmerksamkeit an sich, daß das längst Vergangene völlig in die blaue Ferne verschwindet.

Indessen bin ich überzeugt, eine hochansehnliche Gesellschaft werde gern vernehmen, daß durch Ihre Anregung auch bey uns dieses alterthümliche Studium sich belebt und erneuert. Auf meinen Antrieb hat sich ein junger, schön schreibender Bibliotheksverwandter diesen Gegenständen gewidmet, mehrere Facsimile schon ausgearbeitet und uns dadurch in den Stand gesetzt, auch entfernten Kennern Nachbildungen der alten Schriftzüge zur Beurtheilung vorlegen zu können.

Gegenwärtig übersende einen solchen Versuch aus dem, durch Wiedeburg, schon bekannten Meister-oder Minnesänger-Codex, mit einigen Bemerkungen welche jedoch nur als Anfragen zu betrachten sind, um eine entscheidende Aufklärung zu veranlassen. Womit ich nun zunächst aufzuwarten gedenke, ist eine umständlichere Nachricht von dem Manuscripte der Chronik Otto des Freysingischen, sodann zwey dergleichen Conrads des Ursbergischen Bischofs.

[66] Womit ich denn unserm verehrten Herrn Stifter und Präsidenten, sowie den sämmtlichen hochachtbaren Gliedern auf das andringlichste empfohlen seyn möchte.

Jena den 14. Juni 1820.

Ew. Wohlgeboren muß noch ganz besonders mich verpflichtet erkennen für die Neigung, die Sie mir und meinem Thun zuwenden wollen. Ich finde mich glücklich, daß, nach einer so langen und mannichfaltigen Laufbahn, meine guten Landsleute mich durchaus noch als den ihrigen betrachten mögen. Diesen Vorzug einigermaßen verdient zu haben darf ich mir wohl schmeicheln, da ich weder Blick noch Schritt in fremde Lande gethan, als in der Absicht das allgemein Menschliche, was über den ganzen Erdboden verbreitet und vertheilt ist, unter den verschiedensten Formen kennen zu lernen und solches in meinem Vaterlande wiederzufinden, anzuerkennen, zu fördern. Denn es ist einmal die Bestimmung des Deutschen, sich zum Repräsentanten der sämmtlichen Weltbürger zu erheben. Erhalten Sie mir gleiche Gesinnungen und geben mir von Zeit zu Zeit davon die Versicherung.

Jena den 14. Juni 1820.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Johann Lambert Büchler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-88F7-E