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An Charlotte von Stein

Fraskati d. 15. [und Rom 17. f.] Nov.

Die Gesellschafft ist zu Bette und ich schreibe dir noch aus der Tusch Muschel aus welcher gezeichnet[53] worden ist. Wir haben ein Paar schöne, regenfreye Tage hier gehabt, warm und freundlichen Sonnenschein daß man den Sommer nicht vermißt. Die Gegend ist sehr angenehm, der Ort liegt auf einem Hügel, vielmehr an einem Berge und jeder Schritt bietet dem Zeichner die herrlichsten Gegenstände. Die Aussicht ist weit, man sieht Rom liegen und weiter die See, an der rechten Seite die Gebirge von Tivoli und so weiter. vielleicht bring ich dir etwas gezeichnetes mit. In dieser lustigen Gegend sind Landhäuser recht zur Lust angelegt und wie die alten Römer schon hier ihre Villen hatten, so haben vor hundert Jahren und mehr, reiche und übermüthige Römer ihre Landhäuser auch auf die schönsten Flecke gepflanzt. Zwey Tage gehn wir schon hier herum und es ist immer etwas neues und reitzendes. Nur macht es mich stille und traurig, da ich gewohnt bin alles Gute in deiner Gesellschaft oder in Beziehung auf dich zu genießen, daß du das Schöne nicht sehen sollst.


Rom d. 17.

Wir sind zurück. Heute Nacht fiel ein entsetzlicher Regenguß mit Donnern und Blitzen, heute regnet es fort und ist immer warm dabey.

Wie gern erzählt ich dir von dem was ich gesehn habe, wenn nur erzählen das mindste eines Bildes hinüber tragen könnte. Frescogemählde von Domenichin in Andrea della Valle, desgleichen von den Carrache in der Gallerie Farnese.

[54] Sieh Volckmann. 2. Th. 443 und 413.

Nun muß ich dir aber noch von einem wunderbar problematischen Bilde schreiben, das ich auf iene sah und was sich auf jene sehn läßt.


d. 18.

Ich bin gestört worden und kann dir heute kaum die Geschichte des wunderbaren Gemäldes schreiben.

Es ist wieder schön Wetter, ein heller, freundlicher, warmer Tag.

Heute haben wir in der Farnesina die Geschichte der Psyche gesehn, die du aus meinen Zimmern kennst.

Dann auf Pietro in Montorio die Verklärung von Rafael. Alles alte Bekannte, wie Freunde die man sich in der Ferne durch Briefwechsel gemacht hat und nun von Angesicht sieht.

Auch finden sich herrliche Sachen, von denen nicht soviel Redens ist, die nicht so offt durch Kupfer und Nachbildungen in die Welt gestreut sind.

Vielleicht bring ich einiges mit, gezeichnet von guten jungen Künstlern.

Nun noch zum Schluß die oben versprochne Geschichte.

Schon vor mehreren Jahren hielt sich hier ein Franzoß auf, der als Liebhaber der Kunst und Sammler bekannt war. Er kommt zum Besitz eines anticken Gemäldes auf Kalck, niemand weiß woher. er läßt das Bild durch Mengs restauriren und hat es als [55] ein geschätztes Werck in seiner Sammlung. Winckelmann spricht irgendwo mit Enthusiasmus davon, es stellt den Ganymed vor, der dem Jupiter eine Schaale Wein reicht und dagegen einen Kuß empfängt. Der Franzoße stirbt und hinterläßt das Bild seiner Wirthinn alsantick. Mengs stirbt und sagt auf seinem Todbette: es sey nicht antick, er habe es gemahlt. Und nun streitet alles gegen einander. Der eine Theil behauptet es sey von Mengs, zum Scherz, nur so leicht hingemacht, der andere Theil sagt Mengs habe nie so etwas machen können, ja es sey beynahe für Raphael zu schön. Ich hab es gestern gesehn und muß sagen daß ich auch nichts schöners kenne als die Figur Ganymeds, Kopf und Rücken, das andre ist viel restaurirt. Indessen ist das Bild diskreditirt und die arme Frau will niemand von dem Schatz erlösen. Ich habe eine Hypothese wie das Bild entstanden, davon nächstens. Wäre es auf Holz wie auf Kalck ich sucht es zu kaufen, denn ich erlebe doch noch daß es ums dreyfache verkauft wird, wofür man es ietzt haben kann.

Nirgends ist mir Platz geblieben dir zu sagen wie ich dich liebe. Lebe wohl. Wie wart ich auf einen Brief von dir.

[56]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786 [2]. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-896B-F