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An Carl Friedrich Zelter

[17. September 1831.]

Die Tage und Stunden bisher waren sehr lebhaft angesprochen. Dem älteren Manne drängt sich immer Bedeutendes zu, daß man das Vorzügliche selbst für trivial achten muß. Deine schöne Sendung Schmidtischer Arbeiten konnte ich nicht energischer erwidern als durch das entscheidende Capitel, das du deinem Stammbaum einverleiben magst.

Die Hansnarren des Tages wollen den Adel aufgehoben sehen, als wenn es möglich wäre daß ein [78] tüchtiger Mann von tüchtigen Vorfahren etwas verlieren könnte. Nehmen sie doch dir und deinen Nachkommen den Großonkel weg! Sie sollten täglich und stündlich auf den Knieen Gott bitten: daß man das Altgeprüfte legitim nennen möge und daß von Zeit zu Zeit eine Creatur geboren würde, mit deren Namen Jahrhunderte könnten durchgestempelt werden.

Ich erinnerte mich an einem stillen Abend, Cicero habe ein kleines Werklein hinterlassende Senectute. Das wollt ich mir zum erstenmal zu Gemüthe nehmen und fand allerliebst.

Es ist, wie jene meist alles discursiv durchführen, als wenn das, was sich ohnehin versteht, nur so hingesprochen würde. Er läßt den alten Cato reden, und dieser spricht, wenn man es genau nehmen will, nur historisch aus, was für treffliche Menschen alt geworden sind und wie ihnen das zu Gute gedieh.

So dann kommt auch beyspielweise zur Sprache: wie unvernünftig es sey, ein jedes, auch das Nächstvergangene, wieder zurückrufen zu wollen. Manches Andere was mich nicht berührt laß ich gesagt seyn, nur muß ich erwähnen wie er dem Alter hoch anrechnet: die Würde, die Achtung, die Verehrung, die man ihm nach anständig vollbrachten Lebenszeit erweis't. Das klingt nun freylich aus dem Munde eines tüchtigen Römers, der im Sinn und Ton ganz herrlich von seinen Vorvordern spricht, daß man nicht viel taugen müßte, um nicht davon ergriffen zu werden.

[79] So sieht es bey mir in einsamen, und doch gedrängten Stunden aus. Unterlasse ja nicht, mich von dem was dich umgibt, dir begegnet, nach deiner treuen Weise in Kenntniß zu setzen.

Den allerliebsten Brief von Felix entschließe ich mich, durch's Chaos schicklichst an's Licht zu tragen.

Dein Empfohlner soll freundlich ausgekommen werden. Ottilie weiß wie es einzurichten ausgenommen werden. Ottilie weiß wie es einzurichten ist, daß ein Fremdes, mich im Augenblick nicht Interessirendes zur guten Stunde hereintrete. Bey dieser Gelegen heit will ich nicht verfehlen zu sagen: daß sie und die Kinder sich allerliebst benehmen, wovon viel zu melden wäre, aber nichts zu melden ist, weil das Zarte sich nicht in Worten ausspricht.

Ich selbst habe mich wieder mit dem vierundzwanzigjährigen Manuscripte, von dem du einige Bogen gesehen hast, befreundet; möge es dir dereinst zur heiteren, auch im hohen Alten noch bildsamen Stunde gereichen. Hierinne bekräftigt mich das mir eben wieder erneuerte Wort des Alten: »Ich lerne immer fort, nur daran merke ich daß ich älter werde.«

Friede mit Gott! und ein Wohlgefallen an wohlwollenden Menschen.

Also sey es! und bleibe!

G. [80]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-899C-1