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An Charlotte von Stein

Gotha. Himmelfahrts Tag [9. Mai] 82.

Ich bin unter Vorwande von Müdigkeit aus der Gesellschafft bey der alten Mama heraufgeschlichen, dir noch zu sagen was ich gerne sage und du gerne hörst.

Heute hatt' ich einen schönen Tag, den ersten Sonnenschein seit lange. Genisse doch ia des ersten[322] Grüns und der Nachtigallen in meinem Garten. Im Herreiten hab ich den Plan des Gedichts erfunden das ich meinen bald verlassnen Hausgöttern wiedmen wollte, und habe ausserdem noch viele gute und artige Gedancken gehabt.

Den armen Herzog finde ich in einer traurigen Lage. Seine Frau ist sehr kranck, und seine Geliebte sterbend. Die Diede ist auch von der allgemeinen Seuche angesteckt, die ganze Stadt voll Klagens und Schupfens.

Mama hat mir die neue schöne Genfer Edition von Rousseau geschenckt, die Confessions sind dabey. Nur ein paar Blätter die ich drinne gesehen habe, sind wie leuchtende Sterne, dencke dir so einige Bände! Welch ein Himmel voll! Welch ein Geschenck für die Menschheit ist ein edler Mensch.

Der Prinz ist mir immer sehr geneigt, und eine gar liebe Seele.

Es steht hier alles wunderbar gegen einander, ich hielt es nicht acht Tage aus. Als Einheimischer versteht sich, ein Fremder kommt immer wie Israel durchs rothe Meer, ein Zauberstaat macht die feuchten Wände stehen, wehe dem über dem sie zusammenschlagen.

O meine Lotte! Wie freu ich mich auf meine neue Einrichtung! Auf alles was mir deine Liebe wird ordnen und erhalten helfen. Mögest du so viel Freude haben als du mich glücklich machst.

Ich bin herzlich müde. Gute Nacht. Das Wetter[323] wird morgen mir einen sehr angenehmen oder sehr beschweerlichen Tag geben denn ich muß gerade über den Wald.


d. 10ten früh.

Das Wetter ist schön, die Berge die ich übersteigen soll liegen klar vor mir, und nun ein fröhliges Adieu.

Meine Lotte denck an mich, verlangt nach mir, wird mir schreiben, und weis wie sehr und wie allein ich sie Liebe.

G.

Grüsen Sie den Herzog vielmal und die Herzoginn, Steinen und die philosophische Gesellschafft.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1782. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A00-8