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An Carl Friedrich Zelter

Sechs Tage, und zwar die heitersten des ganzen Sommers, war ich von Weimar abwesend und hatte meinen Weg nach Ilmenau genommen, wo ich in frühern Jahren viel gewirkt und eine lange Pause des Wiedersehens gemacht hatte, auf einem einsamen Bretterhäuschen des höchsten Gipfels der Tannenwälder recognoscirte ich die Inschrift vom 7. September 1783 des Liedes das du auf den Fittigen der Musik so lieblich beruhigend in alle Welt getragen hast:

»Über allen Gipfeln ist Ruh pp.«

Nach sie vielen Jahren war denn zu übersehen: das Dauernde, das Verschwundene. Das Gelungene trat vor und erheiterte, das, Mißlungende war vergessen und verschmerzt. Die Menschen lebten alle vor wie nach ihrer Art gemäß, vom Köhler bis zum Porcellanfabrikanten. Eisen ward geschmolzen, Braunstein aus den Klüsten gefördert, wenn auch in dem Augenblicke nicht so lebhaft gesucht wie sonst. Pech ward gesotten, der Ruß aufgefangen, die Rußbüttchen künstlichst und kümmerlichst verfertigt. Steinkohlen mit unglaublicher Mühseligkeit zu Tage gebracht, colossale Urstämme, in der Grube unter dem Arbeiten entdeckt (einen davon dir vorzuzeigen hatte ich vergessen, er steht im Gartenhause); und so ging's denn weiter, vom alten Granit, [55] durch die angränzenden Epochen, wobey immer neue Probleme sich entwickeln, welche die neusten Weltschöpfer mit der größten Bequemlichkeit aus der Erde aufsteigen lassen.

Im Ganzen herrscht ein wundernswürdigen Benutzen der mannichfaltigkeiten Erd- und Bergoberflächen und -Tiefen.

Wenn ich mich von da zu dir versetzte, wünscht ich nichts mehr als dich den großen Contrast zwischen deinen äußern Zuständen und diesem empfinden zu seyn.

Von der weimarischen Feyer meines Geburtstages, die sich schicklich und glücklich exhibirte, mögen Försters ja wohl erzählt haben. Das schöne Frauchen, das ich mit Vergnügen an meinem Tische sah, hat bedeutenden Effect gemacht. Frauenzimmer behauptet: ihr vorzüglich geschmackvoller Hut habe daran großen Theil gehabt.

Wend ich mich nun zu den Andeutungen deines Briefes, so sey ich wohl daß die alten großen Anforderungen: Laßt uns trinken, laßt uns küssen, bey euch ganz folgsame Schüler haben, selbst unter den alten Herrn, denen es denn wohl bekommen möge.

Die Luft klingt, wie von einem Glockenton, von der Berliner Aufgeregtheit gegen den gottlosen Zudrang eines unwillkommenden Gastes. Um der lieben Kürze willen schreib ich dir ein altes canonisch-classisches Wort her, das du vielleicht kennt:


[56] Was ist ein Philister?
Ein hohler Darm,
Von Furcht und Hoffnung ausgefüllt,
Daß Gott erbarm!

und hiemit sey diese widerliche Frage vorerst abgethan.

Wenn du nun aber nach dem Faust fragst, so kann ich dir erwidern: daß der zweyte Theil nun auch in sich abgeschlossen ist. Ich habe seit so vielen Jahren recht gewußt was ich wollte, habe aber nur die einzelnen Stellen ausgeführt die mich im Augenblick interessirten. Dadurch wurden Lücken offenbar, welche ausgefüllt werden mußten. Dieses alles nun zurechtzustellen, faßt ich den festen Vorsatz, es müsse vor meinem Geburtstag geschehen. Und so ward es auch; das Ganze liegt vor mir und ich habe nur noch Kleinigkeiten zu berichtigen, so siegle ich's ein, und dann mag es das specifische Gewicht meiner folgenden Bände, wie es auch damit werden mag, vermehrten.

Du hast eine wunderliche Scene oder vielmehr einen wunderlichen Theil des Ganzen gesehen, was du davon dir auch magst zugeeignet haben, so wird es im Zusammenhang doch noch lustiger erscheinen.

Nun aber, da diese Forderungen befriedigt sind, drängen sich neue sogleich hinten nach, wie an einem Bäckerlagen a la Queue. Was gefordert wird weiß ich wohl, was gethan werden kann, muß die folge zeigen. Ich habe gar zu vielerlei Bauwerk angelegt, welches zu vollführen doch am Ende Vermögen und [57] Kraft ermangeln. An die natürliche Tochter darf ich gar nicht denken; wie wollt ich mir das Ungeheure, das da gerade bevorsteht, wieder in's Gedächtniß rufen?

Soviel für heute; nächstens die schönen Worte von Longhi über Schmidt und vielleicht einiges über deinen Abend mit Langermann. Empfiel mich dem Werthen und gedenkt mein in Treue und Liebe.

und so fortan!

Weimar den 4. September 1831.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A13-D