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An Sulpiz Boisserée

Ehe ich nach Carlsbad gehe muß ich Ihnen für Ihren letzten Brief vom 29. Juny den schönsten Dank sagen.

Zuvörderst also vermelde ich, daß das mir verehrte Stammbüchlein jetzt erst in völlige Ordnung gekommen. Ein geschickter Buchbinder hatte solches zwar schon längst nach alter Weise geschmackvoll gebunden, die letzte Seite jedoch blieb auf dem vorigen Deckel kleben; diese ist nun auch abgelöst und gar zierlich angelegt. Das Denkmal Ihrer freundschaftlichen Gesinnungen möge also noch ein paar hundert Jahre unverrückt bestehen.

Herrn Hofrath Creuzer danke zum schönsten für Büchlein und Nachricht. Sagen Sie ihm: er möge ja verzeihen, wenn ich in meinen schriftlichen oder gedruckten Äußerungen den Kreis des Dichters und Künstlers überhaupt auf's engste begränze. Dieß geschieht zum Vortheil der Produktivität, die sich gar leicht in's Nichtige verliert wenn sie nicht streng zusammengehalten wird. Dagegen hat der Liebhaber, Kenner, Ausleger völlig freie Hand die Symbole zu entdecken, die der Künstler bewußt oder bewußtlos in seine Werke niedergelegt hat. Mögen Sie gleicherweise den Dragoman gegen die übrigen Freunde machen! mich bey Herrn Leonhard entschuldigen daß ich ihm[239] so lange nicht geschrieben und für manches nicht gedankt. Es soll mich unendlich freuen wenn er in Heidelberg, wie ich nicht zweifle, einen ihm völlig gemäßen Wirkungskreis findet.

Herrn Voß danken Sie für die Ankündigung. Ich wünsche daß mir das Werk in diesen Tagen zu Handen komme, damit ich mich auf der Reise und im Bade recht heiter daran erfreue.

So grüßen Sie auch sämmtliche Freunde und Genossen zum allerschönsten und Sich Selbstthun Sie so gütlich als Sie können. Das Emser Bad hat neuerlich Wunder gethan und ich hätte selbst Vertrauen darauf.

Daß meine Orphika bey Ihnen gut aufgehoben seyen wußte ich voraus. Wenn man das diffuse Alterthum wieder quintessenziirt, so gibt es alsobald einen herzerquickenden Becher, und wenn man die abgestorbenen Redensarten aus eigener Erfahrungs-Lebendigkeit wieder anfrischt, so geht es wie mit jenem getrockneten Fisch, den die jungen Leute in den Quell der Verjüngung tauchten und als er aufquoll, zappelte und davon schwamm, sich höchlich erfreuten das wahre Wasser gefunden zu haben.

Bey diesem orientalischen Gleichniß muß ich gedenken, daß der Divan bis auf den zwölften Bogen abgedruckt ist. Ob ich genöthigt sey bey Durchsicht und Revision dieser Gedichte bey Ihnen und in erfreulicher Umgebung zu verweilen, werden Sie selbst ermessen. [240] Viel Neues finden Sie nicht darin, ich hoffe jedoch manches was sich in der guten Gesellschaft zeigen kann. Wie geschwind das Leben wegrauscht sieht man erst wenn man genöthigt ist solche Productionen nach einigen Jahren mit Aufmerksamkeit wieder zu beachten.

Möge in Ihrer Nähe den unvergeßlichen Freundinnen Freude aus der Gegenwart und in der Erinnerung geworden seyn. Brachte denn der unglückliche Vater erst die Nachricht des traurigen Geschicks mit? Betrachte ich diesen Fall und den Wahnsinn des guten Schelvers, so sehe ich freylich die Welt von der Nacht- und Nebelseite, die ich leider auch längst kenne.

Und somit allen guten Geistern befohlen!

W. d. 16. Jul. 1818.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A24-5