5/1254.

An Jenny von Voigts

Ihr Brief ist mir wie viele Stimmen gewesen, und hat mir gar einen angenehmen Eindruck gemacht. Denn wenn man in einer stillen Geschäftigkeit fortlebt, und nur mit dem nächsten und alltäglichen zu thun hat, so verliert man die Empfindung des Abwesenden, man kann sich kaum überreden, daß im Fernen unser Andencken noch fortwährt, und daß gewisse Töne voriger Zeit nachklingen. Ihr Brief und die Schrift Ihres Herrn Vaters versichert mich eines angenehmen Gegentheils. Es ist gar löblich von dem alten Patriarchen, daß er sein Volk auch vor der Welt und ihren Großen bekennet, denn er hat uns doch eigentlich in dieses Land gelockt, und uns weitere Gegenden mit dem Finger gezeigt, als zu durchstreichen erlaubt werden wolle. Wie oft hab ich bei meinen Versuchen gedacht, was möchte wohl dabei Möser denken oder sagen. Sein richtiges Gefühl hat ihm nicht erlaubt, bei diesem Anlaße zu schweigen, denn wer aufs Publicum wirken will, muß ihm gewisse [143] Sachen wiederholen, und verrückte Gesichtspuncte wieder zurechtstellen. Die Menschen sind so gemacht, daß sie gern durch einen Tubus sehen, und wenn er nach ihren Augen richtig gestellt ist, ihn loben und preisen, verschiebt ein anderer den Brennpunct, und die Gegenstände erscheinen ihnen trüblich, so werden sie irre und wenn sie auch das Rohr nicht verachten, so wissen sie sich's doch selbst nicht wieder zurecht zu bringen, es wird ihnen unheimlich, und sie lassen es lieber stehen.

Auch diesmal hat Ihr Herr Vater wieder als ein reicher Mann gehandelt, der jemand auf ein Butterbrod einlädt, und ihm dazu einen Tisch auserlesener Gerichte vorstellt. Er hat bei diesem Anlaße so viel verwandte und weit herumliegende Ideen rege gemacht, daß ihm jeder Deutsche, dem es um die gute Sache und um den Fortgang der angefangenen Bemühungen zu thun ist, danken muß. Was er von meinen Sachen sagt, dafür bleib ich ihm verbunden, denn ich habe mir zum Gesetz gemacht, über mich selbst und das Meinige ein gewissenhaftes Stillschweigen zu beobachten. Ich unterschreibe besonders sehr gern, wenn er meine Schriften als Versuche ansieht, als Versuche in Rücksicht auf mich als Schriftsteller, und auch bezüglich auf das Jahrzehend, um nicht zu sagen Jahrhundert, unserer Litteratur. Gewiß ist mir nie in den Sinn gekommen, irgend ein Stück als Muster aufzustellen, oder eine Manier ausschließlich zu begünstigen, so [144] wenig als individuelle Gesinnungen und Empfindungen zu lehren und auszubreiten. Sagen Sie Ihrem Herrn Vater ja, er soll versichert seyn, daß ich mich noch täglich nach den besten Überlieferungen und nach der immer lebendigen Naturwahrheit zu bilden strebe, und daß ich mich von Versuch zu Versuch leiten lasse, demjenigen, was vor allen unsern Seelen als das Höchste schwebt, ob wir es gleich nie gesehen haben und nicht nennen können, handelnd und schreibend und lesend immer näher zu kommen. Wenn der König meines Stücks in Unehren erwähnt, ist es mir nichts befremdendes. Ein Vielgewaltiger, der Menschen zu Tausenden mit einem eisernen Scepter führt, muß die Production eines freien und ungezogenen Knaben unerträglich finden. Überdies möchte ein billiger und toleranter Geschmack wohl keine auszeichnende Eigenschaft eines Königes seyn, so wenig sie ihm, wenn er sie auch hätte, einen großen Nahmen erwerben würde, vielmehr, dünkt mich, das Ausschließende zieme sich für das Große und Vornehme. Lassen Sie uns darüber ruhig seyn, mit einander dem mannichfaltigen Wahren treu bleiben und allein das Schöne und Erhabene verehren, das auf dessen Gipfel steht.

Mein Schattenbild liegt hier bei, vielleicht kann ich Ihnen bald etwas schicken, das weniger Fläche ist. Ich bitte auch um das Ihrige, und um das Ihres Herrn Vaters, doch am liebsten groß, wie es an der Wand gezeichnet ist und ohnausgeschnitten. Leben [145] Sie wohl, haben Sie für den Anlaß, den Sie mir zu diesem Brief gegeben, noch recht vielen Dank, und glauben, daß mir jede Gelegenheit erwünscht wäre, die Sie mir oder mich Ihnen näher bringen könnte.

Weimar, d. 21. Juni 1781

Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1781. An Jenny von Voigts. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A28-E