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An Sulpiz Boisserée

Nur mit wenigen Worten, aber gleich will ich für Ihren liebwerthen Brief meine Danksagung abstatten.

Mich freut es höchlich, daß Sie größtentheils mit meinen Äußerungen zufrieden sind, denn auch bey denselben Prämissen zeigt es schon von einem hohen Grad Zusammenlebens, Mitempfindens und Denkens, wenn wir im Urtheil öfters übereinstimmen. Mehr sage ich nicht! Dieses Blatt möchte stocken, und füge, damit der Brief nicht gar zu gewichtlos [180] sey, uralte Wundersprüche über Menschen-Schicksale hinzu.

Empfehlen Sie mich Herrn Thibaut schönstens. Wahrscheinlich besitzt er die Duette von Durante, sonst kann ich sie communiciren. Ich wünsche ihm und Ihnen Glück zu einem so wohl angelegten und durchgeführten Unternehmen.

Gruß den Dreyen!

wie immer

Jena den 21. May 1818.

G.


Urworte, orphisch.

Daimôn
Wie an dem Tag der Dich der Welt verliehen
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen
Nach dem Gesetz wonach Du angetreten.
So mußt Du seyn, Dir kannst Du nicht entfliehen,
Das ändern nicht Sibyllen, nicht Propheten;
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form die lebend sich entwickelt.
Tychê
Die strenge Grenze doch umgeht gefällig
Ein Wandelndes, das mit und um uns wandelt;
Nicht einsam bleibst Du; bildest Dich gesellig,
Und handelst wohl so wie ein andrer handelt.
Im Leben ist's bald hin- bald wiederfällig,
Es ist ein Tand und wird so durchgetandelt.
Schon hat sich still der Jahre Kreis geründet,
Die Lampe harrt der Flamme, die entzündet.
[181] Erôs
Die bleibt nicht aus! – Er stürzt vom Himmel nieder
Wohin er sich aus alter Oede schwang,
Er schwebt heran auf luftigem Gefieder
Um Stirn und Brust den Frühlingstag entlang,
Scheint jetzt zu fliehn, vom Fliehen kehrt er wieder,
Da wird ein Wohl im Weh, so süß und bang.
Gar manches Herz verschwebt im Allgemeinen,
Doch widmet sich das Edelste dem Einen.
Anankê
Da ist's denn wieder wie die Sterne wollten:
Bedingung und Gesetz und aller Wille
Ist nur ein Wollen weil wir eben sollten
Und vor dem Willen schweigt die Willkür stille;
Das Liebste wird vom Herzen weggescholten
Dem harten Muß bequemt sich Will und Grille.
So sind wir scheinfrei denn, nach manchen Jahren,
Nur enger dran als wir am Anfang waren.
Elpis
Doch solcher Grenze, solcher ehrnen Mauer
Höchst widerwärtige Pforte wird entriegelt,
Sie stehe nur mit alter Felsendauer!
Ein Wesen regt sich leicht und ungezügelt.
Aus Wolkendecke, Nebel, Regenschauer
Erhebt sie uns, mit ihr durch sie beflügelt,
Ihr kennt sie wohl, sie schwärmt nach allen Zonen;
Ein Flügelschlag! und hinter und Aeonen.

Jena 21. May 1818.
[182]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A38-A