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An Gottfried August Bürger

Die Antwort, die ich so lange verzögert habe, konnte nur eine Generalrevision meiner Briefschulden in Bewegung bringen, die ich heute, bey Gelegenheit einer Reise, die mir bevorstehet, wohl mit einiger Scham und Widerwillen unternehme. Doch entschuldiget mich einigermassen gegen Sie die Materie, die wir zu traktiren haben, die sich mündlich so schweer und in Schriften fast gar nicht abhandeln lässet.

Die Unzufriedenheit mit Ihrem Zustande, die Sie mir zu erkennen geben, scheint mir so sehr aus dem Verhältniß Ihres Innersten Ihrer Talente, Begriffe und Wünsche, zu dem Zustande unserer bürgerlichen Verfaßung, zu liegen, daß ich nicht glaube, es werde Sie die Veränderung des Ortes, außer einem geringen Mehr oder Weniger, iemals befriedigen können. Es ist in unserm ganzen Lande keine einzige Justizbeamtenstelle davon nicht der Besizer an eben den Übeln krank läge, über die Sie Sich beklagen. Keine subalterne Stelle ist weder für einen denkenden Menschen, was wir gewöhnlich so nennen, noch dazu eingerichtet, das [264] Leben in einem seinern Sinne, zu geniessen. Tüchtige Kinder dieser eingeschränkten Erde, denen im Schweiß ihres Angesichtes ihr Brod schmeken kann, sind allein gebaut, sich darinn leiblich zu befinden, und nach ihren Fähigkeiten und Tugenden das Gute und Ordentliche zu wirken. Jede höhere Stelle ist nach ihrem Maase unruhiger, mühseeliger und weniger wünschenswerth. Für Sie, habe ich immer gedacht, müßte eine akademische Stelle weit die beste seyn. Ihr bestimmter Geschmak für die Wißenschaften, Ihre schönen Kenntniße, die Sie, mit weniger Mühe gar leicht zwekmäßig erweitern, und nach einem Ziele hinleiten könnten, machen Sie von dieser Seite gewiß vorzüglich dazu geschikt. Wie wenig müßte es Ihnen schweer fallen, als Profeßor der Philosophie, die menschlichen Dinge in einer schönen Ordnung und Vollständigkeit vorzutragen und Sich, indem Sie Sich einem reizenden Studio widmeten, andern nüzlich zu machen. Und wie viel Zierde würden Sie den trokensten Sachen durch Geschmak und durch das richtige Gefühl geben, das Sie immer begleitet. Ihr Nahme selbst der Ihnen iezo beschweerlich wird, müßte alsdann zu Ihrem und Ihres Geschäftes Vortheil gereichen. Diese angenehme Aussicht habe ich mir Zeither mehr als einmal und in weit größerm Detail vorgespiegelt; aber mir ist auch die andere Seite nicht verborgen geblieben. Alle unsere Akademien haben noch barbarische Formen in die man sich finden muß, und der Partheygeist der [265] meistens Collegen trennt, macht dem Friedfertigsten das Leben am sauersten und füllt die Lustörter der Wißenschaften mit Hader und Zank. Prüfen Sie Sich mein lieber Bürger, denken Sie nach vielleicht findet sich etwa in der Nähe eine Gelegenheit, sagen Sie mir Ihre Gedanken, sagen Sie mir, was Ihnen indeßen geschehen ist und überzeugen Sich von dem Antheil, den ich bißher auch stillschweigend an Ihrem Schiksaale genommen.

Weimar den 20. Febr. 1782.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1782. An Gottfried August Bürger. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A3E-D