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An Carl Friedrich Zelter

Da mein vorräthiges Briefpapier unerträglich durchschlägt, so will ich mich einmal in größerem Format vernehmen lassen.


Also Weimar den 6. September 1826.

Erstlich will ich vermelden, daß die unter dem 10. August angekündigte literarische Sendung aus Paris hier noch nicht angekommen sey; ich müßte sie denn in diesen turbulenten Tagen unter dem, was unter mancherlei Zungen und Sprachen an mich gelangt, übersehen haben; denn es war mir noch nicht möglich alles zu sortiren und einzeln zu beachten. Dem 28. August folgte nur allzuschnell der dritte September, eine große Fremdenzahl berührte mich doch auch, ob ich gleich von aller öffentlichen Erscheinung entschuldigt blieb. Gestern um Mitternacht verließ Demoiselle Sontag erst einen freundlichen, bey mir [142] versammelten Cirkel, ich will aber doch eilen gegenwärtige Sendung los zu werden.

Was ich in Bezug auf Dante beylege, lies erst mit Aufmerksamkeit! Hätte das, was ich anrege, unser guter Streckfuß vom Anfang seiner Übersetzung gleich vor Augen gehabt, so wäre ihm vieles, ohne größere Mühe, besser gelungen. Bey diesem Original ist gar manches zu bedenken; nicht allein was der außerordentliche Mann vermochte, sondern auch was ihm im Wege stand, was er wegzuräumen bemüht war; worauf uns denn dessen Naturell, Zweck und Kunst erst recht entgegen leuchtet. Besieh es genau; wenn du fürchtest, es möchte ihm weh thun, so erbaue dich lieber selbst daraus und verbirg es. Indessen, da er gewiß einer neuen Auflage entgegen arbeitet, kann es ihm im Ganzen und Einzelnen beyräthig seyn.

Die Tabelle der Tonlehre ist nach vieljährigen Studien und, wenn du dich erinnerst, nach Unterhaltungen mit dir, etwa im Jahr 1810 geschrieben. Ich wollte den Forderungen an einen physikalischen Vortrag keineswegs genug thun, Umfang und Inhalt aber mir selbst klar machen und andern andeuten; ich war auf dem Wege, in diesem Sinne die sämmtlichen Capitel der Physik zu schematisiren. Gegenwärtige Tabelle fand ich bey'm Aufräumen des Musikschrankes, ich hatte sie nicht ganz vergessen, wußte aber nicht, wo ich sie suchen sollte. Ob ich diese Tabelle dir [143] jemals mitgetheilt, weiß ich nicht. Eben so vermiss ich noch mehrere Aufsätze, die mir vielleicht ein Zufall erwünscht wieder in die Hände führt.

Die umständliche Kenntniß des wohlwollend-heitern Berliner Mittwoch-Festes ist mir durch die Haude- und Spenersche Zeitung zugekommen. Dein kritischwürdernder Antheil nimmt sich dabey gar trefflich aus; ich bin auf die Gedichte selbst verlangend und wünsche wohl, daß du den wackern Männern in meinem Namen etwas Freundliches ausrichten möchtest. Soll ich dir eine Anzahl unterzeichneter Blättchen, wie du schon erhieltest, übersenden? Ich habe zu diesem Mittel gegriffen, um gegen die vielen Freundlichkeiten nicht ganz zu verstummen.

Die Composition des Liedchens freut mich sehr. Auch hier zu Lande wollte niemand recht Spaß verstehen; die lieben Vereinerinnen fanden es doch allzu wahr und mußten zugestehen, was sie verdroß. Der patriotische Schleyer diente vieles zuzudecken, man schlich darunter hin nach herkömmlichster Art und Liebesintriguen-Weise.

Daß Demoiselle Sontag nun auch klang- und tonspendend bey uns vorüber gegangen, macht auf jeden Fall Epoche. Jedermann sagt freylich, dergleichen müsse man oft hören und der größte Theil säße heut schon wieder im Königstädter Theater. Und ich auch. Denn eigentlich sollte man sie doch erst als Individuum fassen und begreifen, sie im Elemente [144] der Zeit erkennen, sich ihr assimiliren, sich an sie gewöhnen dann müßt es ein lieblicher Genuß bleiben. So aus dem Stegreife hat mich das Talent mehr verwirrt als ergetzt. Das Gute, das ohne Wiederkehr vorübergeht, hinterläßt einen Eindruck, der sich der Leere vergleicht, sich wie ein Mangel empfindet.

So aber will ich schließen und, zum Überfluß, bemerken: Diese Rolle enthalte:

1) Eine Anzahl Dankblättchen, auch einige Anzeigen meiner Werke.

2) Einiges über Dante, nach vorhergängiger Überlegung Herrn Streckfuß mitzutheilen.

3) Eine Tabelle, welche den Inhalt der Tonlehre darstellt. Kann zu dessen Vollständigkeit etwas beygetragen werden, so wird es mich erfreuen. Die Methode der Aufstellung mag zugegeben werden.

Das vollständige Exemplar von Kunst und Alterthum erscheint nächstens. Gar mancherlei fernerer Mittheilung vorbehaltend.

treulichst

Weimar den 9. September 1826.

Goethe. [145]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A44-E