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An Johann Daniel Salzmann

Ihre Betrachtung über die Rache heben mir viel Freude gemacht. Ich habe sie so ganz, Ihre Sinnesart und Ton gefunden. Mein Vater hält sie vor allen des Druckens würdig, und ich denke, Sie fahren fort Ihre Gedanken über die merkwürdigsten Gegenstände der Religion und Sittenlehre niederzuschreiben, und geben sie uns dereinst in einem Bändgen. Es war mir als wenn ich mich mit Ihnen selbst unterhielt, und die Klarheit im Ausdruck muß Jedermann einnehmen. Was ich vermißt habe, und gewiß erwartete, [65] weil es so gerade in Ihrem Wege lag, war die Reflexion, daß die Vergebung der Beleidigung, als eine Wohlthat, den Beleidiger verbinden müsse, und also schon direckte der Nutzen hervorspringe; was Christus durch feurige Kohlen aufs Haupt sammeln ausdrückt! Arbeiten Sie ja nichts dergleichen ohne es uns zu kommuniziren.

Die Comödien belangend geht ja alles nach Wunsch, ein Autor der sich rathen läßt ist eine seltene Erscheinung, und die Herren haben auch meist nicht Unrecht, jeder will sie nach seine Art zu denken modeln. Also, lieber Freund, hier keine Critik, sondern nur die Seite von der ich's ansehe. Unser Theater, seit Hanswurst verbannt ist, hat sich aus dem Gottschedianismus noch nicht losreißen können. Wir haben Sittlichkeit und lange Weile; denn an jeux d'esprit, die bei den Franzosen Zoten und Possen ersetzt, haben wir keinen Sinn, unsre Sozietät und Charakter bieten auch keine Modele dazu, also ennuyiren wir uns regelmäßig und willkommen wird jeder seyn, der eine Munterkeit, eine Bewegung auf's Theater bringt. Und ich hoffe von dieser Seite werden diese Lustspiele sehr Beyfall haben. Nur wissen Sie um in honette Gesellschaft zu entriren, bedarfs eines Kleids, zugeschnitten nach dem Sinn des Publikums, dem ich mich produziren will, und über dies Röckgen wollen wir rathschlagen. Zuvörderst keine Singularität ohne Zweck. Das ist was gegen die lateinischen Namen spricht. Die allerunbedeutentsten[!] sind besser. Leander, [66] Leonora sind Geschöpfe mit denen wir schon bekannt sind, wir sehen sie als gute Freunde wieder auftreten. Besonders da übrigens das Costüm neu ist, der König in Preußen vorkommt und der Teufel. Bey Gelegenheit des Teufels muß ich meine Gedanken über's Fluchen und Schwören im Drama sagen. Wenn gemeine Leute streiten, ist die Exposition der Gerechtsame sehr kurz, es geht in's Fluchen, Schimpfen und Schlagen über, und der Vorhang fällt zu. Leute von Sitten werden höchstens in einem Anfall von Leidenschaft in einen Fluch ausbrechen, und das sind die beiden Arten die ich dem Drama vergönnen möchte, doch nur als Gewürz, und daß sie nothwendig stehen müssen und sie niemand herausnehmen könnte ohne dem Ausdruck zu schaden. Nun aber die Art von Beteurungsflüchen möchte ich vom Theater ganz verbannen. Im gemeinen Leben sind sie schon lästig und zeugen von einer leeren Seele, wie alle Gewohnheitsworte, und im Drama mag es gar leicht für einen Mangel der dialogischen Verbindungsfähigkeit angesehen werden. Auch hat der Uebersetzter sie oft hingestellt wo Plautus gar nichts hat. Und das hercle kann ich für nichts als unser wahrhaftig nehmen. Sie werden diese Anmerkungen sehr wunderlich finden wenn Sie in meinem Berlichingen auf manchen Schimpf und Fluch treffen werden, davon ich jetzt nicht Rechenschaft geben kann. Vielleicht auch werden Sie mir um desto eher recht geben, da Sie [67] sehen es ist nicht eckles Gefühl, sondern nur relative Besorgniß um die Aufnahme dieser Stücke.

Das wäre nun also wie Sie sehen sehr weitläufig von Nebensachen gehandelt, und so gut als nichts gesagt. Hier will ich auch nur die Präliminarien unsrer künftigen Rathschlagungen eröfnen. Denn was die innere Ausführung betrifft, wie ich wünsche daß er an einigen Stellen dem Plautus wieder näher, bei andern noch weiter von ihm abrücken möchte, wie der Sprache, dem Ausdruck, dem Ganzen der Scenen an Rundheim nachgeholfen werden könnte; darüber möchte ich mich in kein Detail einlassen. Der Verfasser muß das selbst fühlen, und wenn er mir seine Gedanken über das Ganze mitzutheilen beliebt, will ich auch die meinigen sagen; denn ohne das würd ich in Wind schreiben. Was ihm alsdann an meiner Vorstellungsart beliebt, daß er's in sein Gefühl übertragen kann, und ob er nach einem neu bearbeiteten Gefühl wieder den Muth hat, hier und da umzuarbeiten, das muß der Ausgang lehren. Ich hasse alle Spezialkritik von Stellen und Worten. Ein Kopf, daraus es kam, also ein Ganzes und konsistent in sich, wenn der Arbeiter nur einigermaßen Original ist. Ich kann leiden, wenn meine Freunde eine Arbeit von mir zu Feuer verdammen, umgegossen oder verbrannt zu werden; aber sie sollen mir keine Worte rücken, keine Buchstaben versetzen. Nur müssen wir bedenken, daß wir diesmal mit dem Publikum zu thun haben, und besonders [68] alles anwenden müssen den Direktors der Truppen das Ding anschaulich und gefällig zu machen, welches vorzüglich durch ein äußerlich honnettes Kleid geschieht. Denn gespielt machen sie ihr Glück. Nimmt man aber lebendige Stimmen, Theaterglanz, Carikatur, Aktion und die Herrlichkeit weg, verlieren sie gar viel; selbst im Original versetzten uns wenig Scenen in's gemeine Leben; man sieht überall die Frazzen – Masquen mit denen sie gespielt wurden.

So leben Sie denn wohl und antworten Sie bald, so lang das Eisen glüht muß zugeschmiedet seyn, und wenn wir's bald zu Stande bringen, machen wir uns an was neues. Wär ich nur einen halben Tag unter Ihnen, es sollte mehr ausgemacht werden, als mit allen Episteln. Unterdessen ist's auch eine Wohlthat in der Ferne einander umfassen und zu lieben wie ich Sie, und es einander sagen zu können.

[Frankfurt] den 6. Merz 73.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1773. An Johann Daniel Salzmann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A8F-8