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An Friedrich Constantin von Stein

[Concept.]

[14. März 1819.]

Unser Freund Raabe soll dießmal mehr als irgend ein Sing- und Prachtvogel gelobt werden, daß er mein Andenken bey Ihnen, mein Werthester, erneuert und Sie zum Senden und Schreiben angeregt. Zuvörderst also will ich sagen, daß meine artige Schwiegertochter Ihnen für das vortreffliche und reichliche Küchengeschenk den schönsten Dank abstattet, und zwar doppelt, weil sie als Hausfrau und Wirthin Freunden und Genossen etwas Gutes vorzusetzen im Stande ist; theils aber einen, den ganzen Winter über beynah entbehrten Genuß selbst höchst erfreulich findet. Was Ihnen diese Jahre her Leid und Freude brachte, hört ich von Zeit zu Zeit und nahm herzlichen Theil daran. Nun dank ich Ihnen auf's beste daß Sie mir Nachricht von Ihrer Thätigkeit geben wollen. Die Lust einzelne Gesellschaften zu bilden, die Sie in Breslau bemerken, geht durch ganz Deutschland und [96] deutet darauf hin, daß mehr Bedürfnisse vorhanden sind, als man von oben herein befriedigen, mehr Thätigkeiten, als man von oben herein dirigiren und nutzen kann. Die Frauenvereine bildeten sich zur Zeit der Noth, weil sonst niemand helfen konnte, die Noth ist vorüber und die Vereine verzweigen sich durch die Länder bis in Städtchen und Dörfer als Erziehungs- und Unterrichtsanstalten. Die Turn- und Burschenschaft, gleichfalls in's Allgemeine wirkend, dann so manches Besondere, z.B. bey uns die Freunde in der Noth, durch Falk zusammen gerufen, alles Staaten im Staate, abgesonderte Kreise die sich berühren, durchschneiden, schätzbar durch allgemeinen guten Willen, gefährlich durch besondere Zwecke, unentbehrlich, weil jeder selbst zu helfen und zu schützen sucht. Und nun, durch einen wundersamen Gegensatz, hebt man die Innungen auf, weil jeder Einzelne gern an denen Vortheilen Theil nähme die nur durch Corporationen zu erringen sind; man hebt die Gemeinschaft der Grundstücke auf, weil ein solcher Complex durch Corporationen nicht so gut als durch einzelne Besitzer genutzt werden kann. So setzt man sich in den Besitz, aus dem Besitz nach Convenienz, aus Überzeugung und Grille und versichert durchaus, das sey der Zeitgeist dem nicht zu widerstehen sey. Woran man denn auch wohl recht haben mag.

Verzeihen Sie diese allgemeine Betrachtungen und denken sich das Beste dabei.

[97] Möge die Ausstellung Ihrer Statue zu allgemeiner Zufriedenheit gelingen; können Sie mir davon eine kleine Skizze senden woraus Intention der Stellung und Handlung sich erkennen ließe, so wäre es mir höchst angenehm. Ich schicke dagegen in einigen Wochen die Festgedichte zu Aufklärung des großen Maskenzugs bei der Anwesenheit Ihro Majestät der Kaiserin Mutter.

Herrn Raabe bitte schönstens zu grüßen und meiner fortan in Liebe und Freundschaft zu gedenken.

Weimar den 11. März 1819.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An Friedrich Constantin von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A91-F