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An den Freundeskreis in Weimar

Rom. d. 2. Dezemb. 86.

Von dem Guten das ich genieße läßt sich durch Worte so wenig mittheilen.

Das schöne, warme, ruhige Wetter, das nur manchmal von einigen Regentagen unterbrochen wird, ist mir zu Ende Nov. ganz was neues. Wir gebrauchen die gute Zeit in freyer Luft, die böse im Zimmer, überall ist etwas sich zu freuen, zu lernen und zu thun.

d. 28. Nov. Kehrten wir zur Sixtinischen Capelle zurück, ließen die Gallerie ausschließen, wo man den Platfond näher sehen kann, man drängt sich zwar, da sie sehr eng ist, mit einiger Beschwerlichkeit, und [70] mit anscheinender Gefahr, an den eisernen Stäben weg, deßwegen auch die schwindlichen zurückblieben; alles wird aber durch den Anblick des größten Meisterstückes ersetzt. Und ich bin in dem Augenblicke, so für Michel Ange eingenommen, daß mir nicht einmal die Natur auf ihn schmeckt, da ich sie doch nicht mit so großen Augen wie er sehen kann. Wäre nur ein Mittel sich solche Bilder in der Seele recht zu fixiren. Wenigstens was ich von Kupfern und Zeichnungen nach ihm erobern kann bring ich mit.

Wir gingen von da auf die Logen Raphaels und kaum darf ich sagen: daß man diese nicht ansehn durfte. Das Auge war von jenen großen Formen so ausgeweitet, daß man die geistreichen Spielereyen der Arabesken nicht ansehn mochte und die Biblischen Geschichten so schön sie sind hielten auf jene nicht Stich.

Diese Wercke nun öffter gegen einander zu sehn, mit mehr Musse und ohne Vorurteil zu vergleichen muß eine große Freude gewähren.

Von da gingen wir bey fast zu warmem Sonnenschein auf die Villa Pamfili wo sehr schöne Gartenpartien sind, und blieben bis an den Abend.

Eine große mit immergrünen Eichen und hohen Pinien, eingefaßte, viereckte, flache Wiese, war ganz mit Maslieben übersät die ihre Köpfgen alle nach der Sonne wendeten, nun gingen meine Botanischen Spekulationen an, die ich den andern Tag auf einem Spaziergang nach dem Monte Mario, der Villa Melini[71] und Villa Madama fortsetzte. Es ist gar interessant zu bemercken wie eine lebhafter fortgesetzte und durch starcke Kälte nicht unterbrochne Vegetation würckt. Ich habe noch nicht genau genug verschiednes bemercken können und werde sobald meine Begriffe etwas vollständiger sind das interessanteste mittheilen. Der Erdbeerbaum (eine Andromeda) blüht jetzt wieder, indem seine letzte Früchte reif werden, und so zeigt sich der Orangenbaum mit Blüten, halb und ganz reisen Früchten (doch werden letztere Bäume wenn sie nicht zwischen Gebäuden stehen nun bedeckt). Über die Cypresse, den respecktabelsten Baum, wenn er recht alt und wohl gewachsen ist, hab ich noch nicht genug gedacht, ehstens werd ich den Botanischen Garten besuchen und hoffe da manches zu erfahren.

Überhaupt ist mit dem neuen Leben, das einem nachdenckenden Menschen die Betrachtung eines neuen Landes gewährt nichts zu vergleichen. Ob ich gleich noch immer derselbe bin; so meyn ich biß aufs innerste Knochenmarck verändert zu seyn.

Für diesmal schließ ich und werde das nächste Blat einmal ganz von Unheil, Mord, Erdbeben und Unglück anfüllen, daß doch auch Schatten in meine Gemälde komme.

Mit diesem will ich mich allen die mir besonders wohl wollen empfohlen haben.

G. [72]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786 [2]. An den Freundeskreis in Weimar. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A95-7