13/3843.

An Wilhelm von Humboldt

[Concept.]

Ihren freundlichen Brief habe ich seiner Zeit richtig erhalten, so wie mir auch die schönen Mineralien glücklich zugekommen sind, für welche Gabe ich Herrn Dolomieu meinen besten Dank zu entrichten bitte.

Bey meiner Ankunft hier überraschte mich Schiller mit Ihrem Aufsatze über Herrmann und Dorothea, wir lasen den größten Theil zusammen und, nachdem wir verschiednemal unterbrochen worden, habe ich den Schluß für mich allein gelesen und nach Anleitung des Inhalts und der Übersicht manche [214] einzelne Theile wiederholt, und nun sey Ihnen dafür sogleich der schönste und beste Dank gesagt.

Daß Sie Ihre Theilnahme für mich und meine Arbeiten auch mit in das merkwürdige Land nehmen würden, durfte ich hoffen, daß Sie aber ein so fortgesetztes Nachdenken meinem Gedichte widmen sollten, daß Sie sich entschließen könnten, eine so große Arbeit als diese Entwicklung ist in einer Zeit zu unternehmen, die Ihnen so mannigfaltige andere Genüsse anbot, konnte ich auch nicht zum fernsten ahnden, und diese Erscheinung ist mir nun um so erfreulicher, als sie mir beweist, wie innig Sie der Kunst, Ihrem Vaterlande und Ihren Freunden angehören.

Ich will Ihnen gern gestehen, daß mich Ihr Studium meines Gedichtes, wenn Sie auch nicht ganz so günstig davon zu urtheilen geneigt gewesen wären, doch beschämt haben würde, wenn ich nicht zugleich gedächte, daß es Ihnen mit angehört und Sie also eine Art von Neigung, wie zu einer eignen Arbeit, gegen dasselbe fühlen müssen. Es ist nicht eine Höflichkeit, die ich hier sage, denn Sie wissen selbst, wie sehr wir in dem Kreise, in dem wir nun schon eine Zeit lang zusammen leben, uns wechselseitig auszubilden unaufhörlich gearbeitet haben.

Dem sey nun wie ihm sey, so habe ich Ursache mich zu freuen, daß gerade meine Arbeit Sie veranlaßt hat, diese wichtige Materie durchzudenken, mit sich selbst darüber einstimmig zu werden, und eine[215] lebhafte Communication mit uns und andern zu eröffnen.

Auch diese Ihre neue Schrift, in welcher Sie uns einen solchen Schatz von Ideen und Beobachtungen überliefern, soll Ihnen künftig doppelt werth seyn, wenn Sie durch die That erfahren, daß sie in mehr als Einem Sinne auf mich gewirkt hat. Mein lebhafter Wunsch ist der, bald wieder an eine neue epische Arbeit gehen zu können. Ich habe zeither sehr viel über diese Dichtungsart gedacht, und Ihr Aufsatz hat nicht allein alles wieder aufs neue und von verschiednen Seiten erregt, sondern er hat mich auch auf gewisse wichtige Punkte aufmerksam gemacht, die mir, ob ich sie gleich im Auge hatte, doch erst durch Ihre Ableitung recht wichtig geworden sind. So freue ich mich voraus, daß Sie dasjenige was Sie billigen und für recht halten in meinen Arbeiten noch immer mehr ausgedruckt und vollendet finden sollen.

Indem ich Ihnen nun diesen praktischen Dank bereite, so wird Schiller Sie umständlicher unterhalten, wie der Theoretiker Ihre Deduction aufnehmen möchte, wozu mir von dem Himmel das Organ versagt ist.

Nehmen Sie nun auch meinen Dank für die freundschaftliche Art, mit der Sie meiner Mängel erwähnen. Man mag sich noch so sehr zum Allgemeinen ausbilden, so bleibt man immer ein Individuum, dessen Natur, indem sie gewisse Eigenschaften besitzt, andere nothwendig ausschließt.

[216] Alles dieses, wie vorsteht, war schon vor drey Wochen geschrieben und ich hatte noch manches hinzu zu fügen, indessen bin ich zwischen Weimar und Jena wie ein Ball hin und wieder geworfen worden und muß nur schließen damit der Brief, wie er ist, fortkomme.

Ich lege eine Elegie bey, damit meine Prosa wenigstens einigen Beystand habe. Sie kannten ja wohl unsere junge Schauspielerinn, die schöne und angenehme Becker. Sie starb, als ich diesen letzten Herbst in der Schweiz war, und ich widmete ihren Manen dieses Gedicht.

Leben Sie recht wohl, grüßen die Ihrige recht herzlich und strafen Sie mich nicht durch ein allzulanges Stillschweigen.

Sie haben, wie ich aus einem Briefe an Schiller sehe, der Kantischen Philosophie mitten in Paris energisch genug gedacht. Da Sie denn doch einmal ein so erklärter Deutscher sind, so wünschte ich daß Sie noch mit Brinkmann eine Prosodie unserer Sprache zu Stande brächten, die sich auch von Paris herdatirte, es wäre kein geringes Verdienst, besonders um Poeten von meiner Natur die nun einmal keine grammatische Ader in sich fühlen.

Übrigens würde mein Brief sich recht bunt endigen, wenn ich von dem, was ich bisher mit Willen und Unwillen getrieben habe, Rechenschaft geben sollte. Sagen Sie mir doch ja bald, wo Ihr Herr Bruder [217] sich befindet, und ob man nicht etwas von seinen Fortschritten erfahren kann.

In den Naturwissenschaften scheinen wir uns bald recht gut einzurichten. Scherer, der aus England zurück ist, etablirt sich in Belvedere, er wird wol Rittern als Mitarbeiter zu sich nehmen, und Schelling kommt als Professor nach Jena. Sie sehen, daß wenn Sie der einst aus der Welt der Welten in unser intermundium zurückkehren, Sie uns nicht ganz degarnirt von dieser Seite finden können.

Seit einigen Wochen habe ich die magnetischen Phänomene nach meiner Art auf- und zusammengestellt. Schiller nimmt an diesen Studien immer mehr Antheil, und Sie wissen was sein Antheil heißt.

So viel für heute, leben Sie wohl und genießen die ganze Fülle des Gastmahls bey dem Sie sich gegenwärtig befinden, und überzeugen Sie sich, daß unsre magre Kost, zu der Sie denn doch dereinst zurückkommen werden, wenigstens herzlich gern gegeben werde und in manchem Sinne heilsam sey.

Grüßen Sie alles was Sie umgiebt.

Weimar d. Jul. 1798.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1798. An Wilhelm von Humboldt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8AB7-E