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An die Marquise Branconi

Weimar, d. 16. Oktbr. 80.

Erst heute find ich Ruhe zu einer schrifftlichen Unterhaltung mit Ihnen, und nehme ein kleines Blättgen, ein sehr kleines gegen die Menge Sachen die ich Ihnen zu sagen habe. Hätte ich diese Zeit her ein halbduzzend Geister zu Sekkretairs gehabt, denen man zu Pferde, bey Tafel, in dem Vorzimmer und allenfalls auch träumend dicktiren könnte; so würden Sie iezzo ein paar Ries Papier erhalten, vollgeschrieben von tausend Einfällen, Empfindungen, Bemerckungen, Geschichten und Vorfällen, dass Sie bei dem blosen Anblicke das Entsezzen befallen müsste.

Der Verlauf vom 27. Sept. allein würde einen starcken Band machen.

Diesen schönen Tag, dessen beste Stunden ich mit der Feder in der Hand, meine gesammelte Gedancken an Sie gerichtet, zuzubringen hoffte, hab ich im Gefolg unsrer Fürsten auf der Strase, bey Tische, beym Tanz und soweiter hingebracht. Wo sind Sie gewesen? Ich hoffe es bald zu hören, bald zu erfahren wo Sie gegenwärtig sind, dass ich mein Versprechen nach und nach erfüllen kan. Die Zeichnung des niedrigen Thals die Sie verlangten, geht diese Woche an meine Mutter ab, sie erhält den Auftrag abzuwarten, biss sie von Ihnen erfährt wohin das Packet zu schicken [320] ist. Machen Sie dem bunten Blätgen ia ein freundlich Gesicht es soll Sie, wie ihm befohlen ist, mehr an die Bewohner, als an Wiese, Bäum und Hütten erinnern. Ihr Brief hätte nicht schöner und feyerlicher bey mir eintreten können. Er suchte mich auf dem höchsten Berg im ganzen Lande, wo ich in einem Jagdhäusgen, einsam über alle Wälder erhaben, und von ihnen umgeben eine Nacht zubringen wollte.

Es war schon dunckel, der volle Mond herauf, als ein Korb mit Proviant aus der Stadt kam, und Ihr Brief, wie ein Packetgen Gewürz oben auf. Meine Mutter ist recht glücklich gewesen Sie bey sich zu haben. Die gute Frau schreibt auch eine Epoche von dem Tage Ihrer Bekanntschafft. So gehts dem Astronomen, wenn an dem gewohnten und meist unbedeutenden Sternhimmel, sich Gott sey Danck, endlich einmal ein Komet sehen lässt.

Wir hoffen dass Sie von der wohlthätigen Art sind, und versprechen uns also ein gutes Jahr.

Wie ich Ihnen meine Schweizer Briefe wollte abschreiben lassen, fand ich sie noch so mangelhafft dass ich es aufschieben musste. Sobald als möglich will ich sie noch einmal durchsehn, und sie sollen Ihnen an einem Winterabende aufwarten. Dagegen hoff ich auch Ihre Schicksaale zu lesen, und wie Sie Sich mit den Felsen befreundet haben. Die Aufführung der Wassergötter nicht zu vergessen.

Leben Sie wohl, empfehlen mich den Ihrigen.

[321] Gewiss nehm ich den lebhafftesten Anteil an allem was Sie betrifft, und verlange sehr zu hören wie es Ihnen bisher gegangen ist.

Der arme Lavater hat Sie versäumt hör ich.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An die Marquise Branconi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8AC1-5