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An Friedrich Schiller

[Tübingen, 12. September.]

Ihr Brief vom 30. August, den ich bey meiner Ankunft in Tübingen erhalten, verspricht mir daß ein zweyter bald nachkommen solle, der aber bis jetzt ausgeblieben ist; wenn nur nicht das Übel, von dem Sie mir schreiben, die Ursache von dieser Verspätung ist!

Ich freue mich daß Sie das was ich über den Ibykus geschrieben nutzen mögen, es war die Idee [299] worauf ich eigentlich meine Ausführung bauen wollte, verbunden mit Ihrer übrigen glücklichen Behandlung kann dadurch das Ganze Vollständigkeit und Rundung erlangen. Wenn Sie nur noch für diesen Almanach mit der Glocke zu Stande kommen! denn dieses Gedicht wird eins der vornehmsten und besonderen Zierden desselben seyn.

Seit dem 4. Sept. an dem ich meinen letzten Brief abschickte, ist es mir durchaus recht gut gegangen. Ich blieb in Stuttgard noch 3 Tage, in denen ich noch manche Personen kennen lernte und manches Interessante beobachtete. Als ich bemerken konnte, daß mein Verhältniß zu Rapp und Dannecker im Wachsen war und beyde manchen Grundsatz, an dem mir theoretisch so viel gelegen ist, aufzufassen nicht abgeneigt waren, auch von ihrer Seite sie mir manches Angenehme, Gute und Brauchbare mittheilten, so entschloß ich mich ihnen den Herrmann vorzulesen, das ich denn auch in einem Abend vollbrachte. Ich hatte alle Ursache mich des Effects zu erfreuen, den er hervorbrachte, und es sind uns allen diese Stunden fruchtbar geworden.

Nun bin ich seit dem 7. in Tübingen, dessen Umgebungen ich die ersten Tage, bey schönem Wetter, mit Vergnügen betrachtete und nun eine traurige Regenzeit, durch geselligen Umgang, um ihren Einfluß betrüge. Bey Herrn Cotta habe ich ein heiteres Zimmer, und, zwischen der alten Kirche und dem akademischen [300] Gebäude, einen freundlichen, obgleich schmalen Ausblick in's Neckarthal. Indessen bereite ich mich zur Abreise und meinen nächsten Brief erhalten Sie von Stäfa. Meyer ist sehr wohl und erwartet mich mit Verlangen. Es läßt sich gar nicht berechnen was beyden unsere Zusammenkunst seyn und werden kann.

Je näher ich Herrn Cotta kennen lerne, desto besser gefällt er mir. Für einen Mann von strebender Denkart und unternehmender Handelsweise, hat er so viel mäßiges, sanftes und gefaßtes, so viel Klarheit und Beharrlichkeit, daß er mir eine seltne Erscheinung ist. Ich habe mehrere von den hiesigen Professoren kennen lernen. In ihren Fächern, Denkungsart und Lebensweise sehr schätzbare Männer, die sich alle in ihrer Lage gut zu befinden scheinen, ohne daß sie grade einer bewegten akademischen Circulation nöthig hätten. Die großen Stiftungen scheinen den großen Gebäuden gleich, in die sie eingeschlossen sind, sie stehen wie ruhige Colossen auf sich selbst gegründet und bringen keine lebhafte Thätigkeit hervor, die sie zu ihrer Erhaltung nicht bedürfen.

Sonderbar hat mich hier eine kleine Schrift von Kant überrascht, die Sie gewiß auch kennen werden:Verkündigung des nahen Abschlusses eines Tractats zum ewigen Frieden in der Philosophie. Ein sehr schäzbares Product seiner bekannten Denkart, das so wie alles was von ihm kommt die [301] herrlichsten Stellen enthält; aber auch in Composition und Styl Kantischer als Kantisch. Mir macht es großes Vergnügen daß ihn die vornehmen Philosophen und die Prediger des Vorurtheils so ärgern konnten, daß er sich mit aller Gewalt gegen sie stemmt, indessen thut er doch, wie mir scheint, Schlossern unrecht, daß er ihn einer Unredlichkeit, wenigstens indirect beschuldigen will. Wenn Schlosser fehlt, so ist es wohl darinn daß er seiner innern Überzeugung eine Realität nach außen zuschreibt und kraft seines Charakters und seiner Denkweise zuschreiben muß, und wer ist in Theorie und Praxis ganz frey von dieser Anmaßung. – Zum Schlusse lasse ich Ihnen noch einen kleinen Scherz abschreiben; machen Sie aber noch keinen Gebrauch davon, es folgen auf diese Introduction noch drey Lieder in deutscher, französischer und spanischer Art, die zusammen einen kleinen Roman ausmachen.

Ich muß nicht vergessen zu dem glücklichen Fortschritt des Almanach und zu Ritter Toggenburg zu gratuliren.

G. [302]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1797. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8B25-8