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An Friedrich Schiller

Weimar am 26. Jan. Abends. 1798.

Da ich nicht weiß wie es morgen früh mit mir aussehen wird, so will ich heute Abend ein Blättchen in Vorrath dictiren.

Aus beyliegenden Stanzen werden Sie sich ein Traumbild von dem Aufzuge formiren können, der heute Abend statt haben soll. Sechs schöne Freundinnen belieben sich aufs beste zu putzen und wir haben, um ja keine Allegorie mehr in Marmor und wo möglich auch nicht einmal gemahlt zu sehen, die bedeutendsten Symbole mit Pappe, Gold- und anderm Papier, Zindel und Lahn, und was alles noch von Stoffen dieser Art zu finden ist, auf das klärste dargestellt.

Der Imagination Ihrer lieben Frau wird es einigermaßen nachhelfen wenn ich nachstehendes Personal hersetze.

Der Friede Fräul. v. Wolfskeel.

[35] Die Eintracht Frau von Egloffstein und Fräul. von Seckendorff.

Der Überfluß Frau von Werther.

Die Kunst Fräul. v. Beust.

Der Ackerbau Fräul. v. Seebach.

Hierzu kommen noch sechs Kinder die auch nicht wenig Attribute schleppen müssen, und so hoffen wir mit der größten Pfuscherey in dem gedankenleersten Raum die zerstreuten Menschen zu einer Art von Nachdenken zu nöthigen.

Auf dieses Vorspiel paßt die Nachricht vollkommen die ich Ihnen von dem berühmten englischen Gedichte Darwins, der botanische Garten, zu geben gedenke. Ich wünschte nur daß ich Ihnen diese englische Modeschrift, wie sie hier in groß 4°, in Saffian gebunden, vor mir liegt, auch vor Augen stellen könnte. Sie wiegt 5 1/2 Pfund accurat, wie ich mich gestern selbst überzeugt habe. Da nun unsere Taschenbücher ohngefähr eben so viel Loth an Gewicht haben, so möchten wir uns auch von dieser Seite zu den Engländern wie 1 zu 32 verhalten, wenn wir nicht allenfalls, durch 32 Taschenbücher, einen solchen englischen Moderiesen aufzuwiegen im Stande wären. Es ist auf geglättetes Papier prächtig gedruckt, mit wahnsinnig allegorischen Kupfern, von Füßli, verziert und außerdem noch mit botanischen, antiquarischen Tags- und Liebhaber-Darstellungen hie und da geschmückt, hat Einleitungen, Anzeigen des Inhalts, Noten unter dem[36] Text, Noten hinter dem Text, in welchen Naturlehre, Chemie, Naturgeschichte, Erdbeschreibung Botanik, Fabrik- und Handelswesen, besonders aber Todter und Lebender berühmte Rahmen, auf das beste, producirt sind, so daß, von Ebbe und Fluth bis zur sympathetischen Dinte, alles wohl eingesehen und begriffen werden kann.

Bey allen diesen Sonderbarkeiten scheint mir aber doch das sonderbarste: daß in diesem botanischen Werke alles, nur keine Vegetation, zu finden ist. Wenigstens ist dieß von dem ersten Theil desselben beynah buchstäblich wahr. Hier haben Sie den Inhalt des zweyten Gesangs:

Anrede an die Gnomen. Die Erde wird durch einen Vulkan aus der Sonne geworfen, ihre Atmosphäre und Ocean, ihre Reise durch den Thierkreis. Abwechslung Tages und der Nacht, so wie der Jahrszeiten. Uranfängliche glückliche Eilande, Paradies oder goldnes Meer. Venus steigt aus der See; der Mond wird von einem Vulkan ausgeworfen, hat keine Atmosphäre, und ist frostig, die tägliche Bewegung der Erde wird aufgehalten, ihre Axe neigt sich mehr, sie dreht sich mit dem Monde um einen neuen Mittelpunct. Entstehung des Kalksteins durch wäßrige Auflösung, Kalkspath, weißer Marmor, antike Statue des Herkules der von seinen Arbeiten ruht, Antinous, Apoll von Belvedere, Venus Medicis, Lady [37] Elisabeth Foster und Lady Melbourn von Herrn Damer. Von Morästen. Woher das Salz der Erde komme? Salzminen bey Krakau. Hervorbringung des Salpeters. Mars und Venus werden durch Vulkan gefangen. Hervorbringung des Eisens. Herrn Michels Verbeßrung künstlicher Magneten. Gebrauch des Stahls beym Ackerbau, Schiffahrt und Krieg. Ursprung der Säuren. Woher die Kieselsteine, der Seesand, Gips, Asbest, Fluß, Onyx, Achat, Mocka, Opal, Sapphir, Rubin, Diamant. Jupiter und Europa. Neue unterirdische Feuer und Gährung. Der Thon wird hervorgebracht. Porzellanmanufaktur in China, Italien, England, Herrn Wedgwoods Werke zu Etruria, in Staffordshire. Kamee, einen Mohrensklaven in Ketten vorstellend, die Hoffnung vorstellend. Die Figuren auf der Portland- oder Barberini-Vase werden erklärt. Kohlen, Schwefelkies. Naphtha, Obsidian und Ambra. Doktor Franklins Erfindung dem Gewitter seine Blitze zu nehmen. Freyheit Amerikas, Irlands, Frankreichs. Alte unterirdische Centralfeuer. Hervorbringung des Zinns, Kupfer, Zink, Bley, Mercurius, Platina, Gold und Silber. Zerstörung von Mexiko. Sclaverey von Afrika, Untergang der Heere des Kambyses, Gnomen wie Sterne an einer Himmelsmaschine. Einbrüchen der See wird Einhalt gethan. Felsen werden bebaut. Die Materie circulirt, die Düngung ist den Pflanzen was der Milchsaft den Thieren. Pflanzen steigen aus der Erde. St. Peter [38] wird aus dem Kerker erlöst. Wanderungen der Materie. Tod und Auferstehung des Adonis. Entfernung der Gnomen.

Hier haben Sie also das Schema eines Gedichtes. So muß ein Lehrgedicht aussehen, das nicht allein lehren sondern auch unterrichten soll. Nun können Sie sich denken was für Beschreibungen, für Allegorien, für Gleichnisse in dem Werke herumspuken und wie das ganze Material auch nicht mit einer Spur von poetischem Gefühl zusammen gebunden ist. Die Verse sind, wie mir scheint, nicht übel und manche Stellen haben eine rhetorische Tournüre die dem Sylbenmaße angehört. Genug, das Detail erinnert einen an so viel englische Dichter die im didaktischen und beschreibenden gearbeitet haben. Was mag die englische zerstreute Welt sich nicht an einzelnen Stellen vergnügen! wenn ihr so eine Menge theoretisches Zeug, von dem sie schon so lange summen hörte, nun wieder im bekannten Sylbenmaße vorgesungen wird. Ich habe das Buch erst seit gestern Abend im Hause und finde es wirklich unter meiner Erwartung, denn ich bin Darwin im Grunde günstig. Zwar schon seine Zoonomie – –

So weit war ich gestern gekommen als man mich abrief um Chorführer zu seyn. Es ging alles ganz gut, nur das auch diesmal wie bey ähnlichen Fällen zuletzt der Raum fehlte sich gehörig zu produciren. Die Frauenzimmer hatten sich recht schön geputzt und [39] die zwölf, theils kleinen Figuren, in einem Halbkreise, würden durch ihre verschiednen Gruppen, auf dem Theater, wo man sie ganz übersehen hätte, einen guten Effect gemacht haben. So ward aber in dem engen Raum alles zusammen gedrängt, und weil jeder recht gut sehen wollte, sah fast niemand. Indessen waren sie doch auch nachher noch einzeln hübsch geputzt und gefielen sich und andern.

Daß Sie unsere Freundinnen wollen einschlafen lassen war mir nicht ganz unerwartet. Was sagen Sie aber zu dem Gedanke daß man Monatschriften nur auf ein Jahr herausgeben sollte. Man sammelte z.B. 98 und gäbe 99 zwölf Stücke, und so fort, wenn man im Gange wäre, vielleicht immer mit einer Pause. Man müßte sich zum Gesetz große Mannigfaltigkeit machen, interessante, nicht zu lange Aufsätze, in dem Einen Jahre gewiß alles ganz, und seine Sache so machen daß es am Ende noch als ein ganzes Werk verkauft werden könnte. Soll ich Böttigers Aufsatz noch für Sie besprechen?

Einsiedel hat ein paar Märchen geschrieben, die artig seyn sollen, ich wollte sie auch zu erhalten suchen.

Für den Almanach habe ich einen Einfall der noch toller ist als die Xenien, was sagen Sie zu dieser anmaßlich scheinenden Versichrung? Ich communicire ihn aber nicht anders als unter gewissen Bedingungen, indem ich mir Redaction dieses abermaligen [40] Anhangs vorbehalte, Ihnen aber zuletzt wie billig die Wahl frey steht ob Sie ihn aufnehmen wollen oder nicht. Ehe man eine Sylbe davon zu drucken anfängt, muß das ganze wie ein anderes Werk entschieden seyn. Sie werden wenn Sie in der Welt recht herumrathen es zwar schwerlich auffinden, doch vielleicht entdecken Sie etwas ähnliches zum Gebrauch künftiger Zeiten.

Leben Sie recht wohl, das schöne Wetter möchte ich nun gar zu gern in Ihrer Nachbarschaft zubringen. Ich warte nur auf einen Brief von Stuttgard, ob nicht Thouret, den wir zur Decoration des Schlosses verschrieben haben, bald kommen wird.

Lassen Sie uns denn also, wenn es auch in Europa noch etwas bunter zugehen sollte, gerne in diesem Welttheile verweilen.

Weimar am 27. Jan. 1798.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1798. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8B33-8