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An Carl Friedrich von Reinhard

Das Portefeuille ist mir durch Herrn Zimmer in Jena zugestellt worden und hat mir sehr viel Vergnügen gemacht. In Eile nur weniges von dem was darüber zu sagen wäre.

Man kann Niemanden vorschreiben, wohin er seine Liebhaberey wenden und wozu er die ihm einwohnenden Gaben ausbilden soll. Ferner ist alles dasjenige höchst schätzbar, was uns den Sinn einer vergangenen Zeit wieder vergegenwärtigt, besonders wenn es in einem wahrhaft treuen historischen und kritischen Sinne geschieht.

Nach diesem sind die Bemühungen des jungen Mannes, durch welchen die vorliegenden Zeichnungen zu Stande gekommen, höchlich zu loben. Er ist dabey gründlich zu Werke gegangen, wie ich denn gern bekenne, daß der Grundriß des Doms zu Cöln, wie er hier vorliegt, eins der interessantesten Dinge ist, die mir seit langer Zeit in architectonischer Hinsicht vorgekommen. Der perspectivische Umriß giebt uns den Begriff der Unausführbarkeit eines so ungeheuren [294] Unternehmens, und man sieht, mit Erstaunen und stiller Betrachtung, das Mährchen vom Thurm zu Babel an den Ufern des Rheins verwirklicht.

Desto erfreulicher, obgleich eben so erstaunenswürdig, ist die Restauration oder vielmehr der auf dem Papier unternommene Ausbau, welcher mit sehr viel Sorgfalt aus dem Vorhandenen, aus dem sonst Bekannten dieser Kunstzeit und Bauart, das Wahrscheinliche so harmonisch als man es wünschen mag, zusammenstellt. Und man müßte sehr viel bewandter in diesen Dingen als ich seyn, wenn man sich vermessen wollte, irgend etwas daran auszusetzen.

Die von Quaglio gezeichneten Blätter sind sehr geistreich, die andern von Fuchs mit unendlicher Sorgfalt, und beyde mit Geschmack, Fleiß und Zierlichkeit ausgeführt, so daß man wirklich sagen kann, daß für dasjenige was diese Blätter seyn sollen, nichts zu wünschen übrig bleibt. Sie sollen eigentlich einem Hauptwerk die Krone aufsetzen, und ich bin nicht weniger neugierig auf das was uns diese Kunstfreunde und Künstler aus früherer Zeit her überliefern werden.

Diese Zeichnungen werden immer, wie sie hier liegen, unschätzbar bleiben, wenn es auch große Schwierigkeiten haben sollte, sie in Kupfer stechen und dem großen Publicum mittheilen zu lassen; wozu ich in unserer Zeit kaum eine Möglichkeit sehe. Doch wird die Betriebsamkeit derer, die schon soviel [295] geleistet, auch hierbey wohl mehr thun als man sich vorstellen kann.

Vorstehendes wäre das aufrichtige und unbewundene Lob, das man den Cölner Kunstfreunden ertheilen muß. Freylich gehört eine solche leidenschaftliche Beschränkung dazu, um etwas der Art hervorzubringen. Ich habe mich früher auch für diese Dinge interessirt, und eben so eine Art von Abgötterey mit dem Straßburger Münster getrieben, dessen Façade ich auch jetzt noch, wie früher, für größere gedacht halte, als die des Doms zu Cöln.

Am wunderbarsten kommt mir dabey der deutsche Patriotismus vor, der diese offenbar faracenische Pflanze als auch seinem Grund und Boden entsprungen, gern darstellen möchte. Doch bleibt im Ganzen die Epoche, in welcher sich dieser Geschmack der Baukunst von Süden nach Norden verbreitete, immer höchst merkwürdig. Mir kommt das ganze Wesen wie ein Raupen- und Puppen-Zustand vor, in welchem die ersten italiänischen Künstler auch gesteckt bis endlich Michel Angelo, indem er die Peterskirche concipirte, die Schale zerbrochen und als wundersamer Prachtvogel sich der Welt dargestellt hat.

Ich verarge es unterdessen unsern jungen Leuten nicht, daß sie bey dieser mittleren Epoche verweilen; ich sehe sogar dieses Phänomen als nothwendig an, und enthalte mich aller pragmatischen Betrachtungen und welthistorischen Weissagungen.

[296] Herr Boisserèe hat mir einen sehr hübschen verständigen Brief geschrieben, der so wie die Zeichnungen mich für ihn einnimmt. Ich lege für ihn ein flüchtiges Blättchen bey, worin ich ihn auf Michael einlade. Sie haben ja wohl die Güte, ihm die erste communicable Hälfte meines vorläufigen Urtheils mitzutheilen.

Verzeihen Sie, wenn ich durch die gedruckte Beylage das Porto vermehre, das Ihnen jährlich nützer oder unnützer Weise abgenommen wird. Doch wünschte ich diese Blätter bald in Ihren Händen. Mehrere folgen nach. Nachsicht für die Eile! Ich bitte um ein paar Zeilen nach Carlsbad.

Jena den 14. May 1810.

G.


Ich füge die zwar unnöthige, aber doch wohlgemeynte Bitte hinzu: daß Sie de vorzüglichen jungen Mann nichts von meinen Äußerungen mittheilen was ihn betrüben könnte. Das beste Lebewohl im Augenblick der Abreise!

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1810. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8B65-7