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An Christoph Ludwig Friedrich Schultz

Ihr liebwerther Brief hat mir die größte Freude gebracht; denn wie Ihr langes Stillschweigen auszulegen sey, wußt ich doch nicht ganz zurecht zu stellen; doppelt erfreulich ist es mir nun Ihre alten Gesinnungen abermals erprobt und Sie in Ihrem gegenwärtigen Zustande beruhigt zu sehen; ob ich gleich Ihr Schreiben mit dem was Rauch, wohlgesinnt und freundlich, erzählt nicht in Harmonie bringen kann. Mögen Sie mir Ihren Zustand etwas deutlicher einsehen lassen, so werden Sie meine immer treue Anhänglichkeit schönstens erwidern.

Auf meinem Wege bin ich unverrückt fortgegangen, die ungeschickt eingetretenen katarrhalischen Übel haben mich für gewisse Zeit in mich selbst geschlossen, wo ich, im Geheimen, den Faden immer verfolgen konnte der durch mein Leben durchgeht.

Auch in der Witterungslehre ist mir geglückt, wenigstens für mich, das Gewisse vom Ungewissen zu sondern, wodurch ich in einem so problematischen Capitel schon viel gewonnen glaube. Übrigens hab ich manchen stillen Ärger bey mir beschwichtigt über die vom wissenschaftlichen Tag und Stunde inseparable Charlatanerie. Ich habe mir aber fest vorgenommen, wenigstens gegen den Einzelnen nichts merken zu lassen.

Nun aber sagen sie mir ein Wort von Ernst Stiedenroth! Die Unterhaltung mit seiner Psychologie [174] macht mich schon seit vier Wochen glücklich. Es ist gar zu angenehm sein inneres Leben, Streben und Treiben so außer sich gesetzt zu sehen; es ist mir noch nie vorgekommen diese Vermittlung des Abstracten, ja des Abstrusen mit dem gemeinen Menschenverstand, der uns doch eigentlich im Innern allein behaglich macht; es ist eine unglaubliche Totalität in diesem Vortrag und mag übrigens mit der Sache seyn, wie es will, so glaubt man auf einen Augenblick das Unbegreifliche zu begreifen.

Der treffliche Rauch wird von meinen Zuständen nähere Nachricht geben können, schenken Sie seinen Relationen freundliche Aufmerksamkeit! Über das Modell haben wir uns vereinigt, sodaß von diesseits der Ausführung nichts weiter entgegen steht. Sehen Sie es an und unterhalten sich darüber mit dem denkenden, in großer Freyheit wirkenden Künstler.

Grüßen Sie Schubarth, danken ihm für die Sendung und sagen mir doch auch wieder einmal etwas von seiner Lage.

Hiebey das neuste Heft von Kunst und Alterthum welches zu secretiren bitte. Es sind Aushängebogen, das Heft selbst kann erst in einiger Zeit ausgegeben werden. Lassen Sie mich ja bald wieder von sich hören. Auch ich werde manches mitzutheilen haben. Über meine Sommerreise bin noch ganz ungewiß.

und so fort treulich

W. den 27. Juni 1824.

Goethe. [175]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1824. An Christoph Ludwig Friedrich Schultz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8B76-3