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An Christian Heinrich Schlosser

[Concept.]

[4. December 1814.]

Das neulich Abgebrochene will ich sogleich wieder anzuknüpfen nicht versäumen. Lassen Sie uns nun[95] vom Geognostischen reden. Auch hier schadet's nichts, wenn man alles erst einzeln, historisch aufnimmt, und abwartet, bis der Geist zuletzt die vielen bekannten Elemente synthesire.

Geheimerath Leonhard besitzt eine vortreffliche Sammlung von Gebirgsarten, sehr gut geordnet. Er hat kleine Gypsmodelle besorgt, um das Verhältniß der Berge gegeneinander darzustellen. Er arbeitet eben an geologischen Tabellen zur besseren Übersicht des Ganzen, und ich trage, was ich weiß und vermag, gern und willig bey, daß diese Arbeit recht nützlich werde. Ich erwarte so eben die Tabelle über das Alter der Metalle, wo ich, besonders von vorn herein, was ich über die Zinnformation beobachtet, mitzutheilen gedenke. Indem Sie also, mein Werthester, Sich mit ihm in Verbindung setzen, so verbindet Sie dieses zugleich mit mir, und ich kann Ihnen mittel- oder unmittelbar auch in diesem Fache nützlich seyn. Der kleine Aufsatz, den Sie nach unsern Gesprächen bearbeiteten, soll baldmöglichst vorgenommen werden, vielleicht finde ich dadurch angeregt, etwas in das Leonhardische Taschenbuch zu geben.

Von organischen Dingen will ich dießmal nur weniges sagen, und nur im Allgemeinen darauf hindeuten. Sie haben durch frühere Studien sich ja schon auch auf diesem Puncte festgesetzt, und ich mache nur aufmerksam auf die Bemühungen der neuesten, freylich unter dem Gildedruck seufzenden Kirche. Der[96] wichtige Punct, wo das erste, im Wasser sich zeigende Leben durch Licht und Trockene gegen die Vegetation, durch Finsterniß und Feuchte gegen die Animalisation hingezogen wird, hellt sich immer mehr auf und unsere Kenntnisse ramificiren sich von innen aus. Kommt ihnen ein kleines Heft: Die Algen des süßen Wassers nach ihren Entwickelungsstufen dargestellt, von Nees von Esenbeck, Würzburg 1814, in die Hände, so versäumen Sie nicht es zu lesen, und behalten das darin Ausgesprochene in einem feinen Herzen. Schelvers Kühnheit, den Pflanzen die Sexualität abzusprechen, will ich nicht unbedingt begünstigen, aber soviel ist gewiß, daß diese Vorstellungsart, wenn wir sie auch nur einstweilen hypothtetisch annehmen, uns nöthigt, den größten Geheimnissen der Natur näher zu treten, und dieß ist schon bedeutender Gewinn.

Von meiner 1790 gedruckten kleinen Abhandlung, über die Metamorphose der Pflanzen, habe ich kein Exemplar mehr; vielleicht finden Sie eins irgendwo. Obengedachte neusten Überzeugungen ruhen auf jener von mir vor 24 Jahren keineswegs zuerst erfundenen und gegründeten, sondern nur aufgeräumten und ausgebesserten Base.

Sodann möchte ich gerade das Gegentheil von dem was ich bey'm Anorganischen gerathen, bey dem Organischen aussprechen. Wenn wir uns das Studium desselben erleichtern wollen, so müssen wir erst die[97] Ideen in uns erwecken und beleben, und dieses wird ja in den neuern Zeiten immer möglicher, wo man sich an ideellere Behandlung gewöhnt; ja wir wären schon viel weiter, und manches Gründliche wäre schon popularisirt, wenn nicht talentvolle Männer schon über die Linie geschritten wären und sich in's Abstruse und Phantastische verloren hätten, wohin sie denn das schwankende Publicum mit sich ziehen, und eine folgegerechte und methodische Bildung der Masse immer weiter hinausschieben.

Ein gleiches Unheil stiften solche Bücher, deren Verfasser auf einem zwar hohen, aber doch nur individuellen Standpuncte die sittliche Welt überschauen, dahin möchte ich Windischmanns Gericht des Herrn und Schelvers Geheimniß des Lebens rechnen. Es ist an beyden nichts auszusetzen, als daß sie gedruckt sind. Ich habe sie mit Freuden und Nutzen gelesen, und doch war mir, der ich in denselben Regionen wandele, manche Stelle dunkel und beschwerlich. Dann machte ich den Versuch auf gebildete, sinnige und empfindende Leser; sie wurden alle dadurch nur verworren, mit dem besten Willen konnten sie von den Büchern nichts nützen. Das war im dunklen Grunde ihres Gemüths brütet, ward aufgeregt, aber weder geregelt noch eigentlich belebt.

Verzeihen Sie mir solche Äußerungen, die unter uns ein Geheimniß bleiben mögen, und sagen mir etwas dagegen, wie Sie diese Dinge ansehen, zur Berichtigung [98] meiner Ansicht, und zur Erquickung meines guten Willens. Eine sehr bedeutende Recension des Windischmannischen Buches steht in unserer Literaturzeitung No. 218. Überhaupt, wenn Sie diese Zeitung durchlaufen und die für Sie interessanten Artikel beherzigen wollen, so wird dieses ein neues Bindemittel für uns werden. Ich arbeite zwar selbst nicht daran, sie enthält aber selten etwas, dem ich nicht beyfallen müßte.

Weimar d. 2. Decbr. 1814.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Christian Heinrich Schlosser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8BA4-C