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An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck

Ew. Hochwohlgeboren

letzte Sendung hat mich freundlich bey meiner Rückkehr empfangen; vierzehn Tage ward mir das Glück, mit Herrn Grafen Sternberg in Marienbad unter einem Dache zu wohnen, auch sah ich denselben nachher in Eger, wo die Herren Berzelius und Pohl ihn begleiteten, und nun find ich in Ihrer gehaltreichen Sendung eine frühere Correspondenz mit diesem werthen Manne, wo man ihn wie immer auf dem würdigen Standpuncte findet den er lebenslänglich behauptet, sich und andern zu gleicher Wohlthat.

Nach dessen Rückkehr aus Bayern auf seine Güter hab ich ein Schreiben von ihm, woraus ersichtlich, daß der schöne Zweck seiner Reise: die östreichischen und bayerischen Naturforscher zu gemeinsamer Bearbeitung der mitgebrachten Schätze zu bewegen, gewissermaßen erreicht und eine Verabredung getroffen worden, die uns viel Gutes verspricht.

[166] Nehmen Sie den schönsten Dank, auch meiner in Ihrem Schriftwechsel so theilnehmend gedacht zu haben! Dagegen kann ich mich auf das innigste mit Ihrem Vortrag durchdrang und wie Sie zu denken keine Schwierigkeit fand. Meine ganze Aufmerksamkeit geht jetzt dahin, in wie fern besondere individuelle Richtung die Schauenden in der Ansicht und Denkenden in Folgerungen trennt, und zwar solche, die sich in einer Sphäre sämmtlich bewegen und als lebendige Wesen sich bald anziehen und abstoßen.

Sodann sey gestanden daß die Stelle, die Sie zum Schluß Seite 42. 43 mit einiger Scheu einführen, mir sehr zusagte. Die Parallele, die man gar oft vergebens sucht, ist hier höchst schön getroffen; ich wünsche nur daß es mir gelingen möge, den allerliebsten Gedanken rhythmisch auszudrucken und so meine übereinstimmende Theilnahme zu offenbaren.

Dr. Ernst Meyer in Göttingen wird mir täglich lieber; ich fand von ihm bey meiner Rückkehr einen köstlichen Brief, der mich den innern Sinn seiner Recensionen in der Göttinger Anzeigen tiefer fassen läßt. Es ist ein Glück des Alters, daß man größere Lust hat, sich in die Vorstllungen anderer zu finden als sich selbst etwas auszudenken; die historische Neigung nimmt mit den Jahren immer mehr in uns überhand.

Herrn d'Altons Heft: Die Raubthiere war mir[167] gleichfalls eine liebwerthe Erscheinung, die mich, in Gefolg der vorhergehenden Hefte, gar vergnüglich in meine früheren Bemühungen blicken heißt. Er schreibt von einer vorhabenden Reise; mögen Sie mir gefällig melden, ob er noch zu Hause ist und ob ihn eine Sendung erreichen kann; außerdem würde ich Sie ersuchen, mir seine Rückkunft baldigst anzuzeigen.

Dr. Carus in Dresden läßt uns von seinem Werke: Über die Urtheile des Schalen- und Knochengerüstes sehr viel erwarten; es ist ein eigner Mann, der sich des abstracten Organismus so emsig annimmt und zugleich als Landschaftsmahler eine hohe Stufe erreichen konnte. Zarten Seelen ist gar viel gegönnt.

Professor Heusinger in Jena gibt uns in dem ersten Hefte der Histologie eine herrliche Probe seiner nächsten Leistungen.

Uns so liegt denn auch Leopolds von Henning Einleitung zu öffentlichen Vorlesungen über Goethe's Farbenlehre bey, wobey ich mich denn zu freuen habe, auch in diesem Fache Mit- und Nacharbeiter zu finden.

Möge Nachstehendes Ihnen gleichfalls aus Geist und Herzen geschrieben seyn!

treulichst

Weimar den 20. September 1822.

Goethe. [168]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1822. An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8BBA-B