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An Christoph Ludwig Friedrich Schultz

Mit vielem Dank sende den mir anvertrauten Aufsatz, wovon eine Abschrift behalten, hiermit zurück. Meo voto bearbeiten Sie nun, insofern es nöthig, beide Nummern, und man ließe sie zusammen, als ein kleines Heft, besonders abdrucken, damit der Naturfreund das Ganze überschauen, sich daran ergötzen[246] und belehren könnte. Ich habe bey'm Collationiren und außerdem Ihre Darstellung mir noch ferner anzueignen gesucht und einiges bemerkt wie folgt.

Ihr erster § enthält ein Axiom welches mich anlächelte indem die Verkleinerung des schwarzen Bildes gegen das weiße daraus abzuleiten schien. Sie wenden Sich von da sogleich in das Innere des Organs, wo ich mich erst orientiren und Ihre Schritte verfolgen lernen muß.

Jene Maxime will jedoch bey den physischen Versuchen nicht ganz zutreffen, denn hiernach müßte bey jenem perpendicularen Hebeversuch mit dem Cubus das schwarze Bild vom weißen Grund sich absondern und dem Beschauer näher rücken als der Grund, auch müßte umgekehrt das weiße Bild versenkt erscheinen, welches beides nicht statt hat, so wenig als bey grauen und farbigen Bildern.

Auch tritt in Ihrem 18. §, da Sie des 1. § wieder gedenken und zwar in Bezug auf physische Erscheinungen, die Differenz unserer beiderseitigen Vorstellungsarten hervor über die wir uns aufklären müssen um an einander nicht irre zu werden. Ich brauche zu meiner Construction Hell, Dunkel und das vermittelnde Trübe, wie ich ein symbolisches Chärtchen beygelegt habe, das ich mir gelegentlich wieder zurück erbitte; Sie vermitteln hingegen das Trübe aus dem Hellen und Dunkeln, welches, wie es mir scheint, bey [247] den physiologen Phänomenen gar wohl statthaben oder wenigstens angenommen werden kann. Denn die Differenz beider Arten sich auszudrücken ist sehr zart, und wo bey elementaren Erscheinungen ein Drittes nöthig ist, kann bey organischen dieses Dritte gar wohl aus den beiden ersten vermittelt werden. Haben Sie die Gefälligkeit Ihre Betrachtungen ganz besonders darauf zu wenden.

Eigentlich aber wäre mein nächster Wunsch, den ich wiederholt ausspreche, daß Sie beide Aufsätze gegen einander ausarbeiteten und ajustirten und daß wir solche als ein eigenes Heftchen herausgäben. Es ist schon viel Nachfrage von Seiten der Ärzte nach den einzelnen Abdrücken Ihres ersten Aufsatzes und nun wäre es nicht gerathen den zweyten besonders drucken zu lassen. Sagen Sie mir Ihre Gedanken dar über, mir wäre viel daran gelegen, daß die Ausgabe bald möglichst geschähe; wir dürfen jetzt in der Sache nicht zaudern.

Die Lehre vom directen und obliquen Wiederschein hat sich in einem erst erbauten Maler-Atelier jetzt bewahrheitet und zwar auf das wundersamste. Ein einziges großes Fenster ist nach Norden gerichtet; der Künstler klagte mir: er habe, selbst bey völlig klarem Himmel, in den ersten Morgenstunden, ein widerwärtiges Licht. Es verbessere sich bey unveränderter Atmosphäre gegen die Mittagsstunden und verschlechtere sich wieder gegen Abend. Ich brachte [248] sogleich meine Spiegelung, zeigte ihm das schwarze und weiße Kreuz, und klärte ihn möglichst darüber auf. Die Lehre die daraus erfolgte war freylich nicht die erbaulichste, denn hiernach muß der Künstler nicht zu früh aufstehen und, außer dem höchsten Sonnenstande, nur wenige Stunden des Tags arbeiten. Der Allerfleißigste müßte seine Werkstatt auf einem Dreyzapfen beweglich anlegen, um sie, wie eine Windmühle nach dem Wind, so nach dem directen Widerschein von Stunde zu Stunde richten zu können. Bey Beschauung fertiger Bilder kommt dieselbe Bedingung in Anschlag. Alles übrige werden Sie Sich selbst aus jener fruchtbaren Naturmaxime gar leicht entwickeln. Der kleine Apparat soll der gegenwärtigen Sendung bald folgen. Leider geben die Gläser, je länger sie auf einander liegen desto stärkere epoptische Farben, die den Versuch einigermaßen verwirren.

Nächstens mehr

Weimar d. 7. September 1817.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Christoph Ludwig Friedrich Schultz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8BFB-8