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An August von Goethe

Sonnabend d. 1. Sept. 1821.

Der beygeschlossene Auszug des Tagebuchs, welches dießmal weitläufig ausgefallen, meldet wie es mir in diesen Tagen ergangen, daß ich mich ganz wohl befand, auch angenehmer freundschaftlicher Verhältnisse genoß.

Eure herzlichen Schreiben zum Geburtstage erhielt ich, als ich von Hartenberg zurückkam, wofür ich zum schönsten danke; Zugleich ein freundliches von Serenissimo und von Herrn v. Stein, welches Zusammentreffen einen sehr angenehmen Eindruck machte.

Nun kommt auch heute den 31. dein Brief vom 26. Der tabellirte Briefinhalt zeigt, alles meine Ankunft erwarten kann; nur wünsche, daß Ottilie mir die Übersetzung des Howardischen Ehrengedächtnisses, zugleich mit den, allenfalls, beygefügten Noten und Bemerkungen, zierlich abschriebe und nächstens hierher sende; denn ich denke noch eine Zeitlang hierzubleiben, da ich höchst ruhig lebe, das Bisherige alles in Ordnung bringe, mich, mit Behülfe des unterrichteten und thätigen Rath Grüners, in dieser bedeutenden Gegend bekannt mache. Indessen studire böhmische Geschichte, ja sogar habe mir eine Grammatik angeschafft.

[64] Steinkasten werden von Zeit zu Zeit bey dir eintreffen; von Gebirgsarten wurden schöne Dinge gewonnen. Doch auch an Gang- und Metallarten manches Gute, wohlerhaltene Blätter in Sandstein von Altsattel, so wie ein herrlicher Tischabdruck auf einer Kalkplatte von Walsch, im Saazer Kreise.

Ferner werden auch zwey Kisten Kreuzbrunnen bey dir anlangen, die in Franzensbrunn so unartig zurückgelassene (für deren Absendung Herrn Oberforstmeister v. Fritsch schönstens zu danken ist), eine unmittelbar von Marienbad.

Eger finde völlig wie ich erwartete. Ich wohne in dem langen Zimmer, wo ich so oft abtrat, die Fenster gehen auf das munterste Local, wo den ganzen Tag etwas vorgeht. Obgleich ein Gasthof, ist es doch meist ruhig, wenn nicht, über mir einquartierte, reisende Studenten mich an den alten Vers erinnerten:

Es ist ein Besuch auf allen Vieren!
Gott behüt! 's ist der Tritt von Thieren.

G.


Tagebuchs Fortsetzung.

Montag den 27. August. Nach Tische um 5 Uhr von Eger abgefahren und auf gutem Wege bis gegen Zwotau, welches rechts unten liegen bleibt, sodann aber um 6 1/2 Uhr in Hartenberg angelangt. In dem wunderbar gelegenen Schloß vom Grafen freundlichst empfangen. Unterhaltung über seine Ökonomie [65] und herrschaftlichen Haushalt. Abends nach Tische bey sternenheller Nacht ein sehr artiges Feuerwerk, auf dem gegenüber gelegenen Hügel, im Teiche wiederscheinend und trauliche Glückwünsche zum morgenden Tag.

Dienstag den 28. August. Bey Zeiten aufgestanden. Böhmische Schriftsteller, aus der Bibliothek des gelehrten Wirths. Führte uns derselbe im Schloß umher, zeigte sein Mineralien-Kabinett, die Büchersammlung und so weiter, im zweyten Stock einen weiten, breiten, viereckigen Saal, wo ich mich, ob er gleich jetzt zu ökonomischen Zwecken benutzt wird, an die Tanzlustigen zu denken nicht enthalten konnte.

Alsdann ein Umgang um das, auf einem einzelnen Felsen stehenden Schloß; thalab, bergauf und immer so abwechselnd, bis wir, durch eine Hinterpforte, wieder in die oberen Höfe gelangten.

Mittags, zu den Hausgenossen (bestehend aus ein paar bejahrten Damen und einem schon bediensteten Sohne). Bedeutende Gesellschaft, aus der Nähe, von Gutsbesitzern, Staatsdienern und Geistlichen. Die Tafel mit Blumen und Zuckerpyramiden geschmückt, alles (so wie das gestrige Feuerwerk) im Schlosse verfertigt. Gute Weine, zuletzt bey'm Champagner, unter Feuerwerkskrachen, meine Gesundheit, ein Kranz und beykommendes Gedicht. Abends allein mit der Familie.

[66] Rührend war mir, ich gestehe es gern, in allem diesem sowohl, als in der vielfachen Unterhaltung mit dem Grafen, Wohlwollen und Neigung. Ernst und Vertrauen, im Gespräch kein Rückhalt, weder über eigene ökonomische, noch allgemeine Gegenwärtigen, Resignation mit Thätigkeit, geistreiche freie Beurtheilung der Charaktere pp.! so daß ich während so kurzer Zeit in vieles hineingeschaut und mich bedeutend unterrichtet habe.

Mittwoch den 29. August. Belehrende Unterhaltung mit dem freundlichen Wirthe. Abgefahren 8 1/4 Uhr in Eger. Mittag für mich, gegen Abend nach Franzensbrunn, leider war Frau Gräfin v. Henckel schon abgefahren; besuchte Herrn v. Stein, sah dessen Tochter. 7 1/4 Uhr wieder in Eger, am Tagebuch umständlich dictirt.

Donnerstag den 30. Sehr schönes Wetter, Ostwind. Wir gingen eine alte, verödete Judensynagoge zu sehen, merkwürdig wegen hebräischer Inschriften; sodann auf das Schloß, wo der jetzige Platzcommandant, dem der Genuß gehört, durch Anlegung von Küchen- und Blumengärtchen, unschuldig auf- und absteigenden Wegen und natürlich-artigen Lauben, das Innere des Hofes sehr erheitert hat. Wie denn auch die sogenannte Tempelherr-Capelle, obgleich innerlich sehr verletzt, doch so reinlich als möglich [67] gehalten war. Wir stiegen auf das Dach und erfreuten uns der herrlichsten Aussicht, bey hellstem Sonnenschein.

Von dem alten schwarzen Thurm spreche ich zuletzt; er bleibt doch der Anfang und das Ende. Ich wüßte nichts Einfacher-Größeres von diese Art. Mir ist er gewiß römisch, so etwas setzt einen großen Kunstbegriff voraus.

Die übrigen Stunden Vor- und Nachmittag brachte ich mit böhmischer Geschichte und Sprache zu. Abends bey Herrn Huß, welcher die Sammlung alter Wappen Egerischer Geschlechter, von Grabmälern, Kirchenschildchen, Chroniken und Münzen pp. mit der Feder sauber gezeichnet und heraldisch ausgemahlt hat. Ferner wies er Zeichnung und Beschreibung aller Burgen des Egerlandes vor, wie sie stehen, entweder erhalten oder ruiniert.

Sodann machte ich mit Herrn Rath Grüner noch einen Spaziergang an der Eger, in einem wundersam schönen Thale, ferner um einen Theil der Stadt, zum Oberthor herein.

Zu bemerken ist daß Kefersteins zweytes Heft von Seiten des Industriecomptors heute an mich gelangte. Gäbe es Gelegenheit, so sagtest du deshalb ein dankbar Wort an Herrn von Froriep.

Sonnabend den 1. September. Brief an meinen Sohn abgeschlossen; das Blatt an Zauper revidirt. Herr Huß, einige Basalte bringend. Rath Grüner, mit dem Präfecten und zwey Professoren des Gymnasiums. [68] Nach Tische zur Schule gefahren. Lateinisches, Mathematik. Geographie und Griechisch examinirt, durch Professor Kratochwill. Sendung von Herrn v. Stein, Einladung auf morgen. Beschreibung von Prag. Leuchs Charakteristik der deutschen Kaiser. Abends Herr Rath Grüner; mit demselben über Staatsverhältnisse, besonders Steigerung der Instanzen gesprochen.

Sonntag den 2. September. David Knolls Anzeige, Einleitung zu Joseph Müllers Leben. Brief von dem Canzler v. Müller und meinem Sohn; letzteren von Weida. Obiges ferner redigirt und durchgesehen; einiges bezüglich auf böhmische Geschichte. Rath Grüner Historisches. Mittag für mich. Um 3 Uhr mit Rath Grüner nach Franzenbrunn. Bey Herrn v. Stein. Inschrift kaiserlicher Münze, gegliederter Sandstein. Beide Räthsel aufgelöst. Um 7 Uhr zurück nach Eger. Kleinere Redactionen.

Monntag den 3. September. Redactionen von geologischen Aufsätzen. Erlaß an Professor Zauper nach Pilsen. Böhmische Sprachlehre. Mittag für mich. Herr Geheimerath Kamptz aus Berlin, mit Frau und Tochter. Um 4 Uhr zu Herrn Huß. Zum Unterthor hinaus, am linken Ufer der Eger, neben Thonschieser-Felsen, einen sehr lieblichen Weg, zu Hütten, Wohnungen, Gartenhäusern, sehr zierlich terrassirten Gärten; dieser Punct ist sehr zu rühmen, der Blick sowohl aufwärts in die Wildniß, als abwärts, [69] wo sich Eger mit hohen Ziegel-Bollwerken befestigt sehen läßt, ist erfreulich und heiter contrastirend. Wir setzten über den Fluß, verfolgten den reinlichen Spazierweg auf dem rechten Ufer, erstiegen die Höhen und gelangten bis zum Oberthor, von da nach Hause. Egerische geschriebene Chronik, böhmische Sprache.

Dienstag den 4. September. Der Aphorismen an Zauper revidirt, ingleichen die Correspondenz mit meinem Sohn. Den Aufsatz zu Keserstein schematisirt und zu dictiren angefangen. Billet von Herrn v. Stein, der sich auf Nachmittag anmeldete. Herr Rath Grüner, den nächst bevorstehenden Jahrmarkt besprochen, die vorzüglichsten Waren und woher? die Ausländer verzollen ihre Waren und verkaufen alsdann die 8 Tage über ohne weiteres. Herr v. Stein und Tochter, später Herr Grüner; gingen mit ihnen zu v. Adelsfeld, um dessen vom Vater ererbte, wohlgeordnete Naturaliensammlungen zu sehen. Nachts böhmische Grammatik.

Mittwoch den 5. September. Brief von meinem Sohn und Ulriken. Böhmische Sprachlehre. Um 10 Uhr mit Herrn v. Stein und Grüner in den Schulactus der Prämienaustheilung, öffentlicher Belobung u.s.w., wo man mir die Artigkeit erzeigte: das erste, in einem autor classicus, wohlgebunden, bestehende Prämium dem Jüngling selbst einzuhändigen. Herr v. Stein blieb bey mir zu Tische, wir besprachen [70] ältere und neuere Welt- und Personen Verhältnisse. Gegen 5 Uhr fuhr er ab nach Franzenbrunn.

Dir und Ulriken sey für die Zuschrift schönstens gedankt. Mama und Töchtern gönne gar sehr den Ausflug nach Dessau, er wird uns den Winter über gar manche muntere Erzählung eintragen. Von mir vermelde so viel; daß es mir gut geht und daß ich gern noch verweilen mag. Schreibe also und sende nach Belieben und Überzeugung. Sodann laß ein Exemplar Wanderjahre, gebunden einpacken und schicke es, so bald als möglich, mit der fahrenden Post, unter meiner Addresse, und bey Polizeirath Grüner abzugeben, hierher. Mehr wüßte ich für den Augenblick nicht zu sagen, als daß die Buden für den nächsten Jahrmarkt eifrig aufgeschlagen werden, und ich bis dahin meine Zeit gut anzuwenden gedenke. Lebe wohl, thue Walthern in meinem Namen etwas zu Gute und küsse den Kleinen.

treulichst

Eger den 5. September 1821.

G.

Nimm dich auch, wenn es nöthig, einigermaßen der Dinge an die ich von Meyern wünsche.
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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8C18-D