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An Carl Ernst Schubarth

Da ich in den letzten Monaten des vorigen Jahrs nicht dazu gelangen konnte, Ihnen, mein theurer junger Freund, für die reichhaltigen Sendungen zu danken, so will ich wenigstens nicht weit in's neue Jahr hinein zaudern, sondern sogleich versichern, daß es mir sehr angenehm sey, wenn Sie Ihre Unterhaltungen aus der Ferne fortsetzen wollen. Da wir einmal bey persönlicher Unterhaltung den Grund zum besten Verständniß gelegt; so wird es denn eher möglich, auch von weitem sich über Gegenstände zu erklären, die bey ihrer Bedeutsamkeit einer klaren Darstellung sich sonst entziehen möchten. Sie haben mich durch Ihre Blätter wieder mannichfaltig angeregt, und einiges, was ich Ihnen zusagte, ist trotz mancher Hindernisse denn doch zu Stande gekommen.

Der Auszug aller einzelnen Motive der Ilias, frisch durchgesehen, liegt bereit, um in einem der nächsten Hefte mitgetheilt zu werden. Dieses unschätzbare[95] Werk hat mich bey so naher und innigster Betrachtung wieder auf's neue in Erstaunen gesetzt. Wer es auch sey, der diese letzte Redaction, wie sie zu mir kommen ist, vollbracht hat, die Menschheit ist ihm sehr viel schuldig geworden. Bey dem Auszug fällt der Reichthum des Gehalts erst recht in die Augen, die von dem Glanz der Behandlung nicht geblendet sind. Neben dem Laconismus jedoch, dessen ich mich befleißigte, bin ich durch den Geist zu einem wunderbaren Unternehmen getrieben worden: die Gleichnisse ausführlich einzuschalten; dieß thut eine sehr erfreuliche Wirkung, weil eines Knochen- und Gliederwerk dadurch auf einmal belebt und bekleidet erscheint.

Mehr sag ich dießmal nicht, als daß ich wünsche, Sie möchten Ihre Gedanken zu mir hinrichten und sich wie bisher mit mir fleißig unterhalten.

Kann das Frühjahr Sie von Ihrer Vaterstadt loslösen und Sie in eine mehr lebendige Umgebung, in einen Kreis von Natur- und Kunstanschauungen versetzen, so wird es Ihnen gewiß sehr heilsam seyn. Eine mannichfaltige Unterlage zu Ihrem Denken und Betrachten bringt gewiß die herrlichsten Früchte. Nicht allein Wünsche sondern auch eine mögliche Einwirkung möchte ich mir gegönnt sehen.

Leben Sie recht wohl und gedenken mein.

treulichst

Weimar den 12. Januar 1821.

J. W. v. Goethe.


[96] Vorstehendes war geschrieben, als ich Ihren werthen Brief erhielt. Mit Bewunderung seh ich daraus die klare Einsicht verständiger Jünglinge in ihre keineswegs erfreulichen Lagen. Möge Homer indeß Ihnen über die nächsten Monate hinüber helfen, wie er mir durch die letzten durchhalf. Deine sodann mein Auszug Ihnen zu leichterer Übersicht und Vergegenwärtigung.

Und so füge ich weiter nichts hinzu als meine besten Grüße an Ihren guten Bruder und aufrichtige Wünsche, daß uns das Frühjahr eine heitere Sommeraussicht eröffnen möge.

Weimar den 13. Januar 1821.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An Carl Ernst Schubarth. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8C28-9