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An Gaëtano Cattaneo

Noch immer gedenk ich mit Bedauern, hochgeschätzter Herr, meiner Abwesenheit von Weimar zu jener Zeit [341] als dieser zwar kleine und unansehnliche, in manchem Sinn aber bedeutende Platz das Stück hatte Dieselben aufzunehmen, nach Möglichkeit zu unterhalten und nach Würden zu verehren. Noch unangenehmer ist mir die Erinnerung, daß Sie mir einen Brief zurückließen, in welchem Sie die freundlichste Theilnahme bezeigen an meinem Vornehmen und Thun, ja sich geneigt erklären, meinen mannigfaltigen Liebhabereyen durch Nachrichten und Beyträge förderlich zu seyn.

Denn betrachte ich nun aber daß dieser Ihr Brief ohne Antwort blieb, so scheint es mir beynahe ohnmöglich: denn hätte auch die gewöhnliche Höflichkeit nicht schon eine freundliche Erwiderung verlangt, so hätte doch die Habsucht, die einen jeden Liebhaber in seinem Fache lebendig erhält, mich antreiben sollen von Ihrem geneigten Erbieten Vortheil zu ziehen. Wenn ich hierauf nun eine so ganz ungehörige Vernachlässigung zu entschuldigen denke; so kommen mir leider die allertriftigsten Gründe zu Hülfe, denen Sie selbst, und wenn Sie mir zürnen sollten, nicht widerstehen werden; ich darf nur ausrufen: welche Schicksale haben wir nicht seit jener Zeit erlebt! Wie oft waren wir von Freunden geschieden, mit Widerwärtigen vereint! Welch eine Welt ist an uns her, ja über uns weg gegangen! – und noch ist uns nicht vollkommen klar, was wir denn waren und was wir sind?

Die schönste Frucht der neuern Zeit aber für uns Weimaraner zunächst ist die freye Muße, die unser[342] Fürst gewann, über die Alpen zu gehen und alldort, zum Ersatz schwerer in schlimmen Jahren ausgestandener Leiden, zum Lohne lebenslänglicher verdienstvoller Wirkung, endlich den heitern Himmel Italiens zu begrüßen und eine frische nie geathmete Luft zu schöpfen. Die ehrenvolle freundliche Aufnahme, die diesem Fürst-Menschen nicht fehlen konnte, mußte ihn doppelt erfreuen, als er sich sogleich in seinem eigensten Element fühlte, und sich von Personen umgeben sah, die ihn mit allen schnell bekannt machten, was Natur, Kunst, Wissenschaft und ein ausgebildetes Leben Herrliches hervorbringen; und so kam er neu gestärkt zu den Seinigen zurück.

Aber auch wir zu Hause, die wir, in sehnlichster Erwartung seiner Rückkehr, ihm jede Freude so gern gegönnt, auch wir sollten nicht leer ausgehen, indem er so viel bedeutende Gegenstände zurückbrachte, deren Studiums uns noch lange beschäftigen wird.

Ihnen, verehrter Mann, sind wir hiebey den größten Dank schuldig geworden, Sie haben des Fürsten Aufmerksamkeit auf bedeutende Gegenstände gelenkt, Sie haben, als er sich solche zuzueignen beschloß, mit der größten Sorgfalt gewirkt daß die weite Reise diesen Schätzen nicht gefährlich werden sollte, und wir sehen alles nunmehr vor unsern Augen aufgestellt, was uns nothwendig über die Alpen versetzt indem es sich zu uns herüber begab.

Lassen Sie mich, Würdigster, nach dieser Einleitung [343] vorerst gestehen daß die Betrachtung der Durchzeichnungen, verbunden mit der Lesung des Werks unseres zu früh abgeschiedenen Bossi, alles in mir aufgeregt hat was ich jemals über Leonardo und über seine mir theils im Original, theils in Abbildung bekannt gewordenen Werke selbst gedacht und empfunden habe, lassen Sie mich bekennen daß ich den Trieb fühle sowohl Bossis Werk, als die darauf bezüglichen Kunstschätze meinem Vaterlande bekannter zu machen. Ich bearbeite deshalb einen Aufsatz, welcher den Inhalt jenes Werks kürzlich darstellen, meine Bemerkungen enthalten, und auf die in Weimar befindlichen Lucidi sich beziehen soll. Wie sehr mich dabey die gehaltreichen Andeutungen, die ich von Ihrer Hand auf den Tekturen und sonst vorfinde, aufgeklärt und geleitet haben, werden Dieselben ermessen wenn ich glücklich genug bin gedachten Aufsatz zur geneigten Prüfung zu übersenden. Vorläufig jedoch erbitte mir zu diesem Zweck einige biographische Nachrichten, zu Erfüllung dessen, was ich aus dem schätzbaren Discorso funerale habe nehmen können, zum Beyspiel: in welchem Alter Bossi das erste Mal nach Rom gezogen, wann er nach Paris gegangen und wie lange er daselbst geblieben? überhaupt die nähere Zeitbestimmung der Epochen die in seinem Leben bedeutend gewesen.

Wenn ich nun für dießmal schließend vorzügliche Hochachtung und Anerkennung betheure; so erbitte mir zugleich die Erlaubniß nächstens Dieselben an[344] das geneigte Anerbieten zu erinnern: meiner Neigung nämlich zu den Künsten und meinen darauf gegründeten Sammlungen mit gefälligen Beyträgen nachzuhelfen. Zu allen freundlichen Gegendiensten erbötig.

Weimar den 14. December 1817.

Erlauben Sie nun, theuerer, verehrter Man, daß ich, in Gefolg meines ersten Schreibens vom 14. December, nunmehr meine Wünsche und Hoffnungen, wozu mich Ihr früheres Anerbieten berechtigt, nach so langer Zeit endlich laut werden lasse.

Und so will ich denn zuvörderst aussprechen, daß mir alles, was sich auf die Kunstgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts bezieht, höchst lieb und werth ist, ob ich gleich den folgenden Gang der Kunst bis auf den heutigen Tag zu betrachten nicht verschmähe.

Da nun der Privatmann Ursache hat mit dem Raum zu geizen, so wären mir Medaillen sehr erwünscht, die (von allen übrigen Vortheilen abgesehen) uns die Kunstepochen, besonders der Plastik, auf's genauste bezeichnen. So besitze ich zum Beyspiel die vollständige Original-Folge päpstlicher Medaillen in Erz, von Martin dem 5., oder vielmehr Paul dem 2. an, bis auf den heutigen, und, wo nicht alle, doch die meisten bedeutenden wie sie Bonanni aufgeführt. Manches der Art, worauf Graf Gigognara aufmerksam macht, ist auch bey mir vorhanden, und was von Bildnissen weltlicher Herrscher und Helden auf diesem [345] Weg überliefert worden davon besitze ich auch viel Schönes und wohl Erhaltenes, worüber ich vielleicht in der Folge ein Verzeichniß übersende.

Vorerst vermissen wir das Museum Mazuchellianum. Könnte uns ein Exemplar davon zu Theil werden, so würde man den Preis dankbar erstatten. Ferner enthält min Sammlung nichts von allen den Medaillen, welche Maffei aufführt, außer der letzten welche einen Unbekannten Mazantius darstellt. Höchst erwünscht würde mir also jede von den übrigen seyn.

Gleichfalls richte ich meine Kunstbetrachtung auf die Cavinäer, welche zu Padua so vieles leisteten und zur Prüfung der Münzkenner ihre nachahmenden Arbeiten bis fast zur Höhe der Alten hinansteigerten. Von diesen besitze ich die meisten, wie Sie das Cabinet de la Bibliothèque de Ste. Geneviève par A. du Molinet aufstellt. Doch sind mir auch diejenigen ihrer Originalmedaillen, wo die bedeutende Männer ihrer Zeit kunstreich abgebildet, sehr vieles werth; so wäre mir die kleine Medaille, worauf Johann Cavinus und sein Mitarbeiter M. Bassianus vorgestellt sind, sehr angenehm.

Gegen alles dieses habe ich freylich erwidernd wenig anzubieten, allein vielleicht bin ich so glücklich, in einem andern Fache Denenselben irgend eine Gefälligkeit zu erzeigen.

Um nun noch auf die neusten Zeiten überzugehen, so wäre mir sehr erwünscht die Medaille, [346] welche vor einigen Jahren auf Bodoni geschlagen ward, nicht weniger ein Abguß des Medaillons, Canovas Bildniß vorstellend, wie es mein gnädigster Herr durch Ihre Geneigtheit erhalten hat. Sollten diese gehäuften Bitten und Wünsche einigermaßen für unbescheiden geachtet werden, so diene mir zur Entschuldigung, daß ich ein langes Versäumniß nachzuholen habe und daß ich wohl nicht weiter zögern darf, von der früher angebotenen Gunst in einem glücklichen, das schönste Verhältniß zwischen Uns und Italien neueinleitenden Augenblick in Anspruch zu nehmen.

Wegen der Anfuge mich entschuldigend, auch fernere Mittheilungen und Anfragen mir ergebenst vorbehaltend, habe ich die Ehre mich mit vollkommenster Hochachtung zu unterzeichnen.

danckbar verpflichtet

Jena d. 20. Dez. 1817.

J. W. v. Goethe.


Schießlich habe ich noch die Bitte daß Sie beyliegendes Diplom, ausgefertigt von jenaischer mineralogischer Gesellschaft, Herrn Inspector Brocchi möchten zustellen lassen. Seine höchst interessante und geistreiche Abhandlung über das Thal von Fassa in Tyrol ist uns erst dieß Jahr durch eine deutsche Übersetzung vollkommen bekannt geworden. Herr Geheime Finanz Rath Blöde, einer unser vorzüglichsten Mitarbeiter, hat sie mit Sorgfalt bearbeitet, mit einsichtigen Anmerkungen erläutert und bekräftigt. [347] Sie wird großen Einfluß haben auf eine Darstellung dessen, was über die Trappformation überhaupt bekannt ist, worauf wir uns vorbereiten.

Nun schätzen wir uns zur Ehre, Herrn Brocchi als den Unsrigen zu begrüßen, und wünschten sowohl das Original seines Werkes zu besitzen, als auch eine zu Beleg- und Erläuterung desselben dienende Sammlung von Mineralien, wie er sie in seinem Werke vollständig anführt und beschreibt, in dem jenaischen Museum aufstellen zu können, wo sie bis jetzt nur unvollständig vorhanden ist.

Um diesen Wunsch zu rechtfertigen füge hinzu: daß wir jetzt besonders beschäftigt sind, die Gebirgsfolgen mehrerer Länder bey einer sich immer mehr erweiternden Erdkunde zu sammeln, damit der angehende Geognost sich belehre und ein schon geübter Kenner vergleichende Nachlese finden könne.

Eine solche Vermittelung würden wir Ihnen, geschätzter Mann, auch gern verdanken und jede Auslage sogleich schuldigst erstatten; nicht weniger Herrn Inspector Brocchi einige Mineralien unserer Gegend und auch wohl des höheren Nordens, sobald wir wissen womit ihm gedient seyn kann, sehr gerne freundlichst erwidern. Verzeihung auch diesem vielleicht zudringlich scheinenden Auftrag.

ergebenst

Jena d. 20. Dez. 1817.

J. W. v. Goethe. [348]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Gaëtano Cattaneo. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8C40-2