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An Carl Victor Meyer

Die mir zugedachte Büste, mein lieber junger Freund, ist glücklich angekommen, und ich habe Ihnen zum Gelingen dieser Arbeit auf's freundlichste Glück zu wünschen. Ihr angebornes Talent gab schon früh in seinen ersten kindlichen Versuchen die schönste Hoffnung, die sich nun auf's vollständigste realisirt.

Herr Professor Rauch gab mir schon seine Zufriedenheit über Ihren Fleiß und Application zu [22] erkennen; dabey wünscht er mit mir und allen Kunstfreunden, Sie mögen sich auf's eifrigste der Technik, dem eigentlichen Handwerke hingeben. Denn die durch Übung zu erlangende Fertigkeit ist es eigentlich, die das Talent endlich zur Meisterschaft erhebt.

Betrachten wir z.B. den Musiker, welche gränzenlose Bemühungen diese Männer anwenden, um ihre Finger in dem Grade gelenk zu machen, daß diese Glieder zuletzt gleichsam für sich selbst arbeiten und ohne die mindeste Anstrengung mit fertiger Behaglichkeit den Willen und den Sinn des Geistes ausüben, der ihnen zu gebieten hat. Eben so müssen auch des Plastikers Finger Stäbchen, Meißel und was für Instrumente sonst noch anzuwenden sind, eins wie das andere sich zu eigenlebendigem Organ ausbilden, dessen eigenthümliche Beweglichkeit des Künstlers Willen unmittelbar und ungesäumt erfüllt, von dem ersten Kneten des rohen Thons an bis zur letzten Epiderme des vollendeten Marmors. Sodann ist der Künstler glücklich zu preisen, der in Zeiten gewahr wird, was von dem übrigen Weltwissen zunächst an seine Kunst gränzt und seiner Thätigkeit zur Förderniß dient, der dagegen abweis't was darauf keinen Einfluß hat.

Sie leben in einer großen Stadt, von gebildeten Menschen umgeben; ergreifen Sie dasjenige was Ihnen frommt. Lassen Sie mich von Zeit zu Zeit von Ihren Arbeiten sehen. Der Vortheil, in Gypsabgüssen nicht etwa blos Nachbildungen, sondern die Sache selbst verschicken [23] zu können, ist ein bedeutender Vorzug dieser Kunst. Fahren Sie fort, Ihre würdigen Eltern, Ihren Lehrer und jeden Wohlwollenden zu erfreun, der Ihrer Persönlichkeit, Ihren natürlichen Gaben und wackern Gesinnungen gern den herzlichsten Antheil schenkt, worunter ich mich denn auch wohl rechnen darf; der ich recht wohl zu leben wünsche.

In der freudigen Aussicht, ein entschiedenes, unbedingtes Vertrauen auf Rath und Anleitung eines trefflichen Lehrers werde fortan Ihre merkwürdigen und erwünschten Fortschritte von Station zu Station auf das heiterste beleben,

treu gesinnt

Weimar den 11. März 1828.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Carl Victor Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8CC8-3