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An Felix Mendelssohn-Bartholdy

[Concept.]

Du hast mir, mein lieber Sohn, durch deinen ersten römischen Brief viel Freude gemacht, daß ich nun auf deinen zweyten von Luzerne mich dankbar zu äußern alle Ursache habe. Ein Zwischenbrief von Mailand, den ich nach Zelterischer Anfrage empfangen haben sollte, ist nicht zu mir gekommen.

Manchmal mach ich mir Vorwürfe, daß ich im Familiengespräch und sonst im Geselligen doctrinär werde über Puncte die mich interessiren, und so mag ich auch in deiner Gegenwart von Witterung und deren Regel- und Unregelmäßigkeiten wohl gesprochen haben. Dieß ist mir aber nun sehr zum Vortheil gediehen, denn sobald du auf diese Phänomene deine Aufmerksamkeit lenktest, mußtest du ihre charakteristischen Eigenheiten ergreifen, und da du in den fall kamst [zu sehen] was ein sonstiger Beobachter nicht sehen wird, so hast du uns eine sehr bedeutende Schilderung jener ungeheuren und gewaltsamen Naturwirkungen aufbewahrt.

[66] Nun gratulire ich auch zu dem friedlichen Aufenthalt in Engelberg, wohin ich nicht gelangt bin. Eine behandelswerthe Orgel in dieser Wüste zu finden, ist denn doch höchst erfreulich, und gleich Sprache zu besitzen, womit man jene fremden und entfremdeten Menschen aufregen und erheben kann, ist keine Kleinigkeit.

Schillers Wilhelm Tell in Luzern ist doch auch eine gar artige Vorkommenheit. Ottilie hat Lust, ihr neuauflebendes Chaos damit zu schmücken, und es wird dir gewiß nicht unangenehm seyn, dein dramatisches Abenteuer in so verworrener Gesellschaft wiederzufinden.

Daß du die erste Walpurgisnacht dir so ernstlich zugeeignet hast, freut mich sehr; da niemand, selbst unser trefflicher Zelter, diesem Gedicht nichts abgewinnen können. Es ist im eigentlichen Sinne hochsymbolisch intentionirt. Denn es muß sich in der Weltgeschichte immerfort wiederholen, daß ein Altes, Gegründetes, Geprüftes, Beruhigendes durch auftauchende Neuerungen gedrängt, geschoben, verrückt und, wo nicht vertilgt, doch in den engsten Raum eingepfercht werde. Die Mittelzeit, wo der Haß noch gegenwirken kann und mag, ist hier prägnant genug dargestellt, und ein freudiger unzerstörbarer Enthusiasmus lodert noch einmal in Glanz und Klarheit hinauf. Diesem allen hast du gewiß Leben und Bedeutung verliehen und so möge es denn auch mir zu freudigem Genuß gedeihen.

[67] Damit aber dieses Blatt nicht länger verweile, will ich schließen und dir in München gute Tage wünschen. Was die Deinigen dir schreiben, weiß ich nicht; ich aber würde dir rathen, einige Zeit noch im Süden zu verweilen. Denn die Furcht vor dem hereindringenden unsichtbaren Ungeheuer macht alle Menschen, wo nicht verrückt, doch verwirrt. Kann man sich nicht ganz isoliren, so ist man diesem Einfluß von Stunde ausgesetzt.

Und somit lebe wohl und treffe wann es auch sey zur guten Stunde ein, sie wird dich willkommen heißen,

Weimar den 9. September 1831.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Felix Mendelssohn-Bartholdy. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8CCC-C