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An Carl Friedrich Moritz PaulGraf von Brühl

Sie verzeihen mir gewiß, mein theuerster Herr und Freund, wenn ich Ihren Brief nicht schnell erwiderte; die großen Epoche, die vor uns vorüberging, hat uns alle in Nachdenken. Thätigkeit und Bewunderung gesetzt, und so flogen acht Wochen unter Vorbereitung, That, Genuß und Nachklang hin, ohne daß wir selbst recht wissen wie es uns zu Muthe war.

Nun also zu Ihrer freundlichen Mittheilung, deren Unerfreuliches mir nicht ganz fremd war; denn wir alten Praktiker müssen ohngefähr die Wirkung der Arzney voraussehen. Die gute Lila, aus den allerzufälligsten Elementen, durch Neigung, Geist und Leidenschaft, für ein Liebhabertheater nothgedrungen zusammengereiht, konnte niemals eine große, bedeutende Darstellung begründen; das dort aus Noth Gebrauchte war reizend, aber mehr verlangt man billig, wo so viel Mittel bereit sind. Möge daher Ihr guter, freundlicher Wille für den Compositeur der Casse nicht zu allzugroßem Schaden gereichen.

[58] Über Paläophron und Neoterpe wagte ich nichts zu fragen, denn mir war diese liebe kleine Production nicht mehr gegenwärtig. Vor wenig Tagen jedoch lasen mir zwei hübsche, verständige, gelehrige Kinder das Werkchen ganz anmuthig wieder vor dabey macht ich die Bemerkung, daß daran gar nichts weiter zu thun sey. Denn dieser Scherz, dessen unschuldigen Ursprung und heitere Wirkung Sie am besten kennen, gewinnt für den Augenblick etwas Bitteres, da Gelbschnabel und Haberecht, nicht etwa nur innerhalb kleinstädtischer Philisterey, sondern in Reichs- und Weltbezirken ihr Wesen treiben und, anstatt einander aus dem Wege zu gehen, ein Schutz- und Trutzbündniß mit Einschluß von Naseweis und Grießgram getroffen haben.

Sollten Sie also auf irgend einer Privatbühne davon Gebrauch machen, so würde ich rathen, das Ganze zu lassen wie es ist und nur am Ende, da es denn doch wohl als gelegenheitlich irgend einer verehrten Person gebracht wird, die Züge mit wenig Pinselstrichen zu verändern. – Bei diesem Anlaß darf ich nicht verschweigen, daß unsere liebe Neoterpe in diesen Tagen glücklicherweise eine Aristeia (das heißt verdolmetscht: eine vollkommen darstellende Erscheinung ihrer inwohnenden Kräfte und Tugenden) gehabt habe. Bey dem großen Redoutenaufzug vor J. M. der Kaiserin Mutter nämlich habe die Freundin verführt den Epilog zu sprechen. Wenn er Ihnen nächstens [59] gedruckt zu Handen kommt, hoff ich daß Sie billigen werden, wenn sie sich hat verführen lassen, auch ist es so vollkommen geglückt, daß sie als der liebenswürdigste Stern unter Sternen und Sonnen zum Schluß aufleuchtete.

Nun aber auch kein weiteres Wort, als daß ich Ihrer Neigung und freundlichstem Andenken empfohlen zu seyn wünsche.

Der Ihrige

Weimar der 14. Januar 1819.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An Carl Friedrich Moritz PaulGraf von Brühl. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8CD6-1