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An Christoph Ludwig Friedrich Schulz

Ew. Wohlgebornen

Verzeichniß der typographischen Sünden in unserm Abdruck hat mich wirklich erschreckt, und ich konnte mich nicht beruhigen bis ich in Jena wo das Manuscript geblieben war, fand, daß dieses die Schuld trug. Das ist aber nur ein leidiger Trost, mit einen paar Cartonen wäre der Sache abgeholfen gewesen.

Merkwürdig ist es, daß im Schreiben, besonders aber im Abschreiben oft, bey vielem Wiederholen derselben Sache, das Entgegengesetzte geschrieben wird. So emendirte ich, bey Übersetzung des theophrastischen Farbenbüchleins, Schwarz in Weiß, oder umgekehrt, ich erinnere mich selbst nicht mehr. Unser Freund Wolf freute sich darüber. Er habe, sagte er, zum Spaß schon einmal seinen Schülern vorausgesagt, daß dergleichen Emendationen vorkommen würden.

Dabey will ich nicht verhehlen, daß gerade diese Stelle und die darauf bezüglichen mir trübe geblieben, [103] und daß, weil mein Organ zu jenem Gewahrwerden nicht geeignet ist, der Wunsch bey mir recht lebhaft entstand, mich über diese Dinge mündlich mit Ihnen zu besprechen; dann würden auch für die Puncte, über welche wir dissentiren, Mittelbestimmungen gefunden werden.

Das Glück führte mir Zeltern auf zwey Tage hieher, was sehr wenig und sehr viel ist. Wir sind durch diese neue lebendige Anregung gewiß geworden unseres unzerstörlichen Gemeinseyns.

Auf dieser Stelle trifft mich Ihr theurer Brief durch Herrn Schinkel. Ihr Wohlwollen gegen die Schrift des Bergrath Voigt, das ich zwar erwartete, konnte mich doch höchlich erfreuen. Auch ich halte das für den rechten Weg. Manches läßt sich nicht besser ausdrücken und dann ist es sehr wacker, daß er dahin deutete, wohin er im Augenblick nicht gelangen konnte.

Nun kann ich erst, nach solchen Vorarbeiten, die Bruchstücke meines Gewahrwerdens ohne Noth und Qual herausgeben, und zum fernern Gebrauch den Lebendigen überliefern. Ein solches Buch ist auch: Jäger über die Mißbildungen der Gewächse Stuttgart 1814.

Mein kleines Heft: die Metamorphose der Pflanzen fiel vor 25 Jahren rechts und links in die Dornen und die Steine. Eine kleinere und größere Anstalt, wie ich das durchführen wollte, blieb liegen, weil [104] doch auch nirgendsher Theilnahme und Mitarbeit erschien. Nun, nach genanntem Werke, kann ich die uralten Kupferabdrücke monstroser Pflanzen illuminiren lassen und mit wenigen Bemerkungen mittheilen. Sie dienen auch diesem jüngeren Mann zur Förderniß.

Dr. Schopenhauer ist ein bedeutender Kopf, den ich selbst veranlaßte, weil er eine Zeitlang sich hier aufhielt, meine Farbenlehre zu ergreifen, damit wir in unsern Unterredungen irgend einen quasirealen Grund und Gegenstand hätten, worüber wir uns besprächen. Da ich in der intellectuellen Welt ohne eine solche Vermittlung gar nicht wandeln kann, es müßte denn auf poetischem Wege seyn, wo es sich ohnehin von selbst giebt.

Nun ist, wie Sie wohl beurtheilen, dieser junge Mann, von meinem Standpunct ausgehend, mein Gegner geworden, zur Mittelstimmung dieser Differenz habe ich auch wohl die Formel; doch bleiben dergleichen Dinge immer schwer zu entwickeln.

Möge ich doch bald über Ew. Wohlgeb. Befinden beruhigt werden, worüber mich sowohl Zelter als Schinkel in Sorge gesetzt haben.

Und nun muß des, leider allzukurzen, Besuchs des Herrn Geheimerath Schinkel gedenken, dessen schöne Einsicht und Thätigkeit mich sehr erfreut und belebt hat. Einem so reichen Talent ist ein so weiter Wirkungskreis zu gönnen. Manche bedeutende Puncte durchzusprechen verhinderte die Kürze der Zeit, doch[105] vielleicht läßt sich's nachholen, indem ich ihn am Rhein zu treffen hoffe, da ich eben im Begriff bin nach Heidelberg abzugehen und von da mich nach Baden zu begeben. Die herrliche Boisseréesche Sammlung wird auf dieser Tour ein sehr leuchtender Punct seyn.

In diesen letzten Tagen haben mich die entoptischen Farben noch sehr beschäftigt. Wenn man zwey starke Octavbände über einen Gegenstand hat drucken lassen, und sich in derselben Region wieder auf einmal vor einem Abgrund sieht, so giebt dich gewiß so eine herzerhebende Empfindung. An dieser Entdeckung liegt eigentlich das Wort des Räthsels, das sich aber selbst aussprechen muß. Die Phänomene schließen sich ganz natürlich an alle übrigen an, ich behandle sie nach meiner alten Art, indem ich sie wechselsweise in's Einfache ziehe und in's Mannigfaltige treibe.

Da Sie aus dem Schweiggerschen Journal die Umkehrung der Erscheinung kennen, so brauche ich kaum zu sagen, daß der hier hervortretende Gegensatz mit dem der physiologen Erscheinungen völlig identisch ist.

Und so würde ich fortfahren wenn nicht meine morgen bevorstehende Reise nach Baden am Rhein mich unterbräche.

Das Beste wünschend in Hoffnung guter Nachrichten von Ihrer Seite bey meiner Rückkehr.

Weimar d. 19. July 1816.

Goethe. [106]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Christoph Ludwig Friedrich Schulz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8CDC-6