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An Christoph Ludwig Friedrich Schultz

Theurer Verehrter!

Mein Brief vom 9. August aus Marienbad wird Sie hoffentlich zu rechter Zeit gefunden haben, nun muß ich ihm eine heitere Bemerkung nachbringen. Dort hab ich doch, mit selbstgefälliger Weisheit das so unerläßliche als irrige Bestreben der Menschen getadelt, die sich mit unmöglichen Synthesen abquälen. Das Blatt war kaum zur Post, als ich mich auf der unmöglichsten aller Synthesen ertappe und ganz im Ernste lachen muß, wobey das Schlimmste seyn mag, daß ich durch diese Erkenntniß keineswegs gebessert war, die fruchtlose Operation vielmehr ununterbrochen fortsetzte.

Diesem Gewahrwerden nachgehend bin ich seit acht Wochen auf besondere Wege guter Gedanken gerathen, die ich noch immer verfolge, am liebsten aber im Gespräch mit Ihnen potenziiren möchte.

Gegenwärtig nur soviel: den 13. September hoff ich in Jena zu seyn. Wo Sie dieser Brief auch trifft, geben Sie mir nach Weimar Nachricht, ob und wann ich Sie zu sehen hoffen darf, wornach ich mich ernstlich sehne. Wunderbar ist's! in der Gesellschaft, wie sie mich seit jener Zeit umgab, fehlt es nicht an Geist, aber, indem er sich auf die Negative, auf's Mißreden wirft, zerstört er sich selbst und verschwindet in Dunst.

[207] Indessen hab ich viel Menschen gesehen, in gar manche Zustände hinein geblickt, auch vieles genossen; und nach dem Texte der Heiligen Schrift muß mir viel verziehen werden, denn ich habe viel geliebt.

Hiezu war mir Zeit gegönnt, ohne daß ich deshalb in der Naturwissenschaft zurück geblieben wäre. Ich führe zwey thätige Jüngere neben mir, wovon der eine die Erde durchklopft, der andere sich um die Meteore des Himmels bekümmert, und so ist viel gesammelt und bemerkt worden. Auf jenes Athmen der Erde weiß ich schon viel Himmlisches, beynahe alles zu beziehen, und wäre es auch nur zur Übung des Geistes, ein solcher Versuch würde immer viel Nutzen bringen.

Nebenbey sind auch einige Gedichte gelungen, die für mich Werth haben und für Freunde hoffentlich nicht werthlos bleiben sollen. Mehr kann ich wohl nicht verlangen, besonders da noch manches andere Gute, als die unglaubliche Talentsäußerung der Pianospielerin Madame Szymanowska, mit Worten nicht anzudeuten ist. Sie hat ihren Weg nach Berlin genommen; sollten Sie die so liebenswürdige als kunstfertige Frau sehen und hören, so werden Sie mir nicht verargen von ihr entzückt gewesen zu seyn. Auch Madame Milder hab ich zum erstenmal bewundert; aus vier kleinen Liedern hat sie das Größte gemacht über alle Erwartung. Den Complex dieser unschätzbaren Persönlichkeit hör ich nun schon so lange [208] rühmen, und da find ich freylich die Einwohner einer großen Königsstadt höchst beneidenswerth, die an so herrlich besetzten Tafeln ohne Umstände sich niederzulassen berufen sind.

Und so hätt ich denn doch aus der Fülle meiner beiden Monate diesem Blatt einigen Gehalts mitgetheilt. Möge ich doch bald mit guten Hoffnungen für die nächste Zeit beglückt werden.

Das Schöne zum Guten.

Eger den 8. September 1823.

G

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Christoph Ludwig Friedrich Schultz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8CE1-7