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An Carl Ludwig von Knebel

Dein Andenken zum neuen Jahr erscheint mir sehr freundlich, wozu die artigen Verse des Franzosen mir liebliche Beylage sind. Es giebt einem gar nicht Wunder, daß die Weiber dieser Nation nicht feind seyn können, da sich das männliche Geschlecht kaum ihrer erwehren kann. Wenn man den Regierungs- [257] rath Müller erzählen hört, der von Berlin mit dem Friedens-Document gekommen ist; so begreift man recht gut, wie sie die Welt überwunden haben und überwinden werden. Wenn man in der Welt etwas voraussähe, so hätte man voraussehen müssen, daß die höchste Erscheinung, die in der Geschichte möglich war, auf dem Gipfel dieser so hoch, ja übercultivirten Nation hervortreten mußte. Man verläugnet sich das Ungeheure, so lange man kann, und vermehrt sich eine richtige Einsicht des Einzelnen, woraus es zusammengesetzt ist. Wenn man aber diesen Kaiser und seine Umgebung mit Naivität beschreiben hört, so sieht man freylich, daß nichts dergleichen war und vielleicht auch nicht seyn wird. Ich hoffe dir bald davon zu erzählen.

Wenn das Schloß von Blessirten rein ist, wag' ich wohl einmal einen Besuch bey euch, denn ich möchte nicht eher hinüber kommen, bis ich Anstalt zur Reinigung und Wiederherstellung machen kann.

Der erste didactische Theil meines Farbenwesens ist bald abgedruckt. Er wird 21 Bogen machen. Der zweyte, polemische wird etwa mit 10 abgethan seyn. Dazu habe ich das Manuscript schon zur Hälfte, nur bedarf es freylich noch einer tüchtigen Revision. Hubers Leben und Briefe habe ich mit großem Antheil gelesen, und ich finde, daß sich aus diesen Characteren, Verhältnissen und Begebenheiten ein sehr interessanter Roman schreiben ließe, weil man als- [258] dann herausheben könnte, was hier vertuscht werden mußte. Daß er mit mir weder als Schriftsteller noch als Mensch fertig werden kann, nehme ich ihm gar nicht übel. Er zeigt übrigens durchaus guten Willen gegen mein Wesen und Treiben; und ist es doch immer die Individualität eines Jeden, die ihn hindert, die Individualitäten der andern in ihrem ganzen Umfang gewahr zu werden.

Hierbey schicke ich eine Pose, die du vielleicht noch nicht gesehen hast und die dir wohl einigen Spaß machen kann.

Für den Wein will ich Sorge tragen, daß er bald bey dir anlangt.

Daß der indische Quietismus mit dem gegenwärtigen nördlichen Treiben einen wunderlichen Contrast in der Betrachtung hervorbringt, ist keine Frage. Du thust aber sehr wohl, in so eine ganz fremde Gegend wie ein Zugvogel hinüber zu eilen.

Grüße die Deinigen und den jungen Voigt von den Meinigen und mir. Ich freue mich unserer nächsten Unterhaltung, für die ich manches aufspare.

Weimar den 3. Januar 1807.

G. [259]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1807. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8D58-8