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An Carl Ludwig von Knebel

Weimar den 25. März 1812.

Da wir das Glück haben, mein theuerster Freund, daß, ohngeachtet des schrecklichen Wegs, die Boten[300] noch hin und wieder gehen, so will ich nicht versäumen dir in der stillen Woche ein freundliches Wörtchen zu sagen und dir zugleich für den heute empfangenen Brief zu danken.

Der gute Riemer hat uns gestern verlassen; eine solche Trennung muß freylich einmal geschehen. Sie ward mir leichter, weil ich weiß, daß sie zu seinem Glück gereicht. Es dient ihm die gegenwärtige Stelle nur zur Vorbereitung: denn sobald die Curatoren der Academien und die Scholarchen erfahren, daß er sich dem Lehramte widmen mag, so erhält er gewiß einen Ruf über den andern und er sieht sich alsdann entweder billigermaßen verbessert, oder ehrenvoll entlassen. Möge das Letzte auch um meinetwillen ferne seyn, doch muß man daran denken und sich darauf vorbereiten.

Ich habe indeß meine biographischen Studien wieder vorgenommen, sie dienen mir zur angenehmen Unterhaltung und zu gründlicher Recapitulation meines Lebens und Wesens, und regen mich an zu mannigfaltiger Lecture alter und neuer Schriften, um mit mir meinen Gang synchronistisch, in dem Gange der Umgebung, zu denken.

Gelesen habe ich diese Tage mit viel Interesse die Briefe der Mad. Du Deffand, die Mémoires de St. Simon, und nun habe ich mich an Chateaubriand Génie du Christianisme gemacht. Das Verhältniß zu diesen Werken ist mir lebhafter und natürlicher [301] geworden durch interessante Unterredungen mit dem Baron de St. Aignan und dem General Sebastiani. Es ist ganz was anderes, wenn man solche Werke aus dem Gesichtspunkte vorzüglicher Männer von derselben Nation betrachtet, als wenn man sie nach seinem eignen Maaßstabe mit noch so vieler Billigkeit mißt.

Hier auch etwas aus Spanien. Wir legten ältere und neuere Kupferabbildungen von Granada, besonders aber vom Alhambra dem General Sebastiani und seinem Adjutanten vor. Sie haben damit zum Theil sehr zufrieden und versicherten, daß das Gebäude, ja die Bäder und die Wasserleitungen zu denselben, noch in dem besten Stande seyen, welches sie ihrer köstlichen und sorgfältigen Structur, sowohl in Absicht auf den Zuschnitt der Steine, als der Verklammerung und Verkittung derselben, zu danken hätten. General Sebastiani hat es reinigen und auf türkische Weise ausmeubliren lassen, mit Sophas, Divans, Teppichen und dgl. Die große Fontaine und deren alabasterne Löwen, welche die Schale tragen, wovon der Löwenhof den Namen hat, der in den Händeln der Zegris und Abencerragen so oft vorkommt, ist noch im ersten Stande u.s.w.

Ein Buch, welches mich erschreckt, betrübt und wieder auferbaut hat, ist von Schelling gegen Jacobi.

Nach der Art wie der Letzte sich in den sogenannten Göttlichen Dingen herausgelassen, konnte der[302] Erste freylich nicht schweigen, ob er gleich sonst zu den hartnäckigen Schweigern gehört. Wir Andern, die wir uns zur Schellingischen Seite bekennen, müssen finden, daß Jacobi sehr schlecht wegkommt. Das Buch muß die Münchner Scandale, die ohnehin kaum erst wenig beruhigt sind wieder aufs neue aufregen; doch wir können der Welt den Frieden nicht geben und wollen sehen, ob wir beym litterarischen Krieg etwas gewinnen, was bey dem andern der Fall nicht seyn kann.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8D88-B