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An Carl Bernhard Cotta

Der eifrige Kunstkenner, wenn er die Ausgrabungen von Pompeji und Herculanum mit Entzücken betrachtet, wird doch immer zunächst von einem schmerzlichen Gefühl überrascht, daß soviel Glück durch ein einzelnes Naturereigniß zu Grunde gehen mußte, um solche Schätze für ihn niederzulegen und zu bewahren.

Von einer ähnlichen Empfindung wird derjenige bedrängt, das zu schauen und zu kennen, was in der Urzeit allgemeinere unbegreifliche Naturwirkungen in einer großen Weltbreite niedergeschlämmt, niedergedrückt und verschüttet, damit mir von verschwundenen Organismen genugsam erführen, welche in der Vornacht der Zeiten doch auch das Tageslicht und seiner Wärme genossen, um kräftig und fröhlicht zu leben und sich auf das gedrängteste zu versammeln.

[275] Wenn aber der Mensch sein eigenes Mißgeschick zu übertragen berufen ist, so ergibt er sich denn wohl auch in ein fremdes verjährtes Mißgeschick und sucht daher für seinen überschauenden Geist, für seine gränzenlose Thätigkeit Nahrung und Beschäftigung.

Daß ich für alle fossilen Gegenstände seit geraumer Zeit eine besondere Vorliebe gehegt, ist Ihnen nicht verborgen geliebten; ich habe selbst durch anhaltende Bemühungen und Freundesgunst sehr schöne Beyspiele zusammengestellt, wobey denn immer mehr offenbar wird, daß Abbildungen und genaue Beschreibungen ganz allein geeignet sind, uns in einem so unermeßlichen Felde zurechtzuweisen.

Sie statten sich daher selbst den Dank ab, den wir Ihnen für eine so merkwürdige Mittheilung schuldig geworden. Sie haben die Natur auf eine so vollkommene Weise nachgeahmt, daß man Ihre Arbeiten eben so gut als die Originale dem Vergrößerungsglase unterwerfen und sich dadurch von Ihrer eben so großen Aufmerksamkeit als Geschicklichkeit überzeugen muß.

Doch indem man bewundert, was Sie zu leisten befähigt waren, muß man sich, so wie Sie selbst, gestehen waren, muß man sich, so wie Sie selbst, gestehen, daß ein so bedeutend-wirksames Leben wie das Ihres Herrn Vaters vorausgehen mußte, um in dessen Fülle sein entschiedenes Talent sich bequem [276] ergehen und Wünschenswerthes leisten konnte. Empfehlen Sie mich demselben auf's beste, wie ich denn die Gelegenheit sehr gern ergreife auszusprechen, wieviel ich seinen frühern Bemühungen um das Pflanzenwachsthum schuldig geworden.

Indem ich nun eine so merkwürdig-auslangende Arbeit als erfreulichsten Beytrag zu den wenigen, aber doch bedeutenden Exemplaren dieser Art hinzufüge, bemerke ich, daß mir irgend ein Musterstück dieser oder jener Geschlechtabtheilungen sehr angenehm seyn würde. Es bedürfte keines der seltensten, nur solche, die in Ihrem Kreise ohne besondere Beschwere zu erhalten sind.

Möge ich bald vernehmen, daß dieses Ihr sogenanntes Specimen, welches Wohl schwerlich viele seines Gleichen anerkennen dürfte, Ihnen die praktische Laufbahn eröffnet habe, in welcher Sie sich gewiß nach dem Vorgangene Ihres Herrn Vaters auszuzeichnen berufen sind.

Lassen Sie mich, insofern ich noch einige Zeit auf der wunderlichen Erdoberfläche verweile, gelegentlich einiges von Ihren Fortschritten vernehmen.

Ew. Wohlgeboren

ergebenster Diener

Weimar den 15. März 1832.

J. W. v. Goethe. [277]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1832. An Carl Bernhard Cotta. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8D9C-0