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An Friedrich Wilhelm Riemer

Töplitz, den 20. Juni 1813

Sie erhalten hierbey, mein lieber Riemer, das eilfte und zwölfte Buch; an dem letzten fehlt der Schluß, der mit den beyden folgenden Büchern bald möglichst nachkommen soll. Ich bin auf allerley Weise retardirt worden; aber es ist schon so viel gethan, daß ich weiter keine Sorge habe.

Eigentlich ist es ein allzukühnes Unternehmen, ein solches Volumen in bestimmter Zeit zu schreiben; doch [367] bestimmte man sie nicht, so würde man gar nicht fertig. Wenn Sie die verschieden abwechselnden Gegenstände dieses Bandes ansehen und bedenken, was es für eine Aufgabe gewesen wäre, jeden nach seiner Art in Styl und Darstellung zu behandeln, so könnte einen das Grauen ankommen. Ja man würde gar nicht zu Ende gelangen und vielleicht thät' es dem Ganzen nicht einmal gut.

Genug, hier ist's so weit ich's bringen konnte. Einiges habe ich noch mit Bleystift notirt, denn das Manuskript steht gerade auf dem Punct, wo ich meine Sachen zu verderben anfange.

Es sey also. mein Werthester , Ihnen die völlige Gewalt übertragen, nach grammatischen, syntaktischen und rethorischen Überzeugungen zu verfahren.

Ohnvorgreiflich einige Bemerkungen.

Die Enthymeme scheinen sich zu häufen. Phrasen wiederholen sich, weil man doch in dem engen Kreise von ähnlichen Gesinnungen und Beschäftigungen, vorzüglich auch in einem subjectiven Wesen verweilt. Z.B. Es zog mich an. Es heilt mich fest. Um so mehr. Um so weniger.

Rediten, Wiederholungen derselben Sache, habe ich zu tilgen gesucht; doch kommt eine Sache öfters, einigemal mit Fleiß, von verschiedenen Seiten vor.

Wendungen wiederholen sich. Besonders verdrießen mich die unglücklichen Auxiliaren aller Art. Vielleicht gelingt Ihnen hie und da die Umwandlung [368] in die Participial-Construction , die ich scheue, weil sie mir nicht gerathen will.

Euphonische Zwischenwörter, wie gerade, eben, können auch wohl hie und da gelöscht werden.

Ausländische Worte zu verdeutschen sey Ihnen ganz überlassen u.s.w.

Ich befinde mich sehr wohl und im Ganzen gefördert. Die Gegend habe ich schon durchgeologisirt und werde es noch mehr thun unter dem Beystand der Doctoren Reuß zu Bilin und Stolz zu Aussig. Die Mannigfaltigkeit der Producte ist sehr groß.

Mich freut sehr, daß meine Kleinen Gedichte Ihren Beyfall haben, an dem mir sehr viel gelegen ist; denn Sie sehen diesen kurz gebundenen ästhetischen Organisationen auf den Grund, wenn Andere sich allenfalls am Effect ergötzen.

Dagegen habe ich mich auch an dem Ohnesorgigen Schatz gar sehr erfreut. Es ist eine sehr glückliche Production und dem Wortfreunde läuft nicht leicht ein so fetter Hase in die Küche.

Ich wünschte mir und Ihnen Glück, daß Sie sich in das Unvermeidliche zu finden wissen. Auch die Meinigen trösten mich durch ihre Briefe. Sie nehmen das reale Übel so leicht als möglich auf. Wie fürchterlich es sey, dasselbe noch durch ideale Schöpfungen zu verschlimmern, sehe ich hier alle Tage.

[369] Übrigens weiß ich hier in der Nähe eben so wenig als ihr entfernteren von der Zukunft; selbst von der nächsten auch nicht das mindeste. Jede Conjectur, jede Vermuthung wird gleich zu Schanden. Nur der Parteigeist bildet sich seine Träume zu augenblicklichen Gewißheiten, und es wird werden woran Niemand denkt.

Tausend Lebewohl!

G.


N. B. Das dreyzehnte und vierzehnte Buch ist fertig und wird sachte abgeschrieben; ich hoffe, sie sollen in vier Wochen auch in Ihren Händen seyn. Die zweyte Hälfte des funfzehnten Buches steht auch schon auf dem Papier. Sie sehen also, daß wir dem Ziele nahe sind.


[Beilage] Räthsel Da sind sie wieder...

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Friedrich Wilhelm Riemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8DA4-B