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An Giuseppe Gautieri

[Concept.]

[Carlsbad 8. Juni.]

Ew. Wohlgebornen

verehrliches Schreiben vom 9. May ist mir in diesen Tagen nach Carlsbad überbracht worden, und ich verfehle schuldig zu erwiedern.

Die mir gefällig übersendete Pietra fungaja fand ich im vergangenem Herbste bey meiner Nachhausekunst. Ich stand in der Meynung Herr Bergrath Lenz habe vorläufig die Ankunft derselben dankbar gemeldet, und versparte meinen Dank bis ich etwas gründliches von denen damit angestellten Versuchen zugleich mit übersenden könnte. Zwar ist bisher verschiedenes mit jenem merkwürdigen Naturproduct vorgenommen worden; allein noch haben sich die Resultate nicht zusammenstellen lassen: doch will ich dasjenige was mir einigermaßen zuverlässig scheint, Ew. Wohlgebornen vorläufig mittheilen.

Jenes Naturproduct scheint nicht dem Mineralsondern dem Pflanzenreiche anzugehören, und möchte sich wohl an die Trüffeln, Lykoperden und andre dergleichen Gewächse zunächst anschließen. Sein Wachsthum unter der Erde, wahrscheinlich in leichtem Boden, scheint mir alles fremdartige, insofern es nicht allzusehr widersteht, zu verdrängen, wodurch denn wirklich ein eigner selbständiger Körper gebildet wird. Gegenstände aber, wie Wurzeln und Steine, werden davon [104] umschlossen und mit in den Körper aufgenommen, wie an dem übersendeten Exemplar sichtbar genug ist: ein Fall, den wir auch bey manchen Stämmen gewahr werden, die solche Körper, die nicht abweisen können, als Zweige, Strohhalme, Fichtennadeln mit ihren vegetabilischen Bau einschließen.

Eine Hauptfrage weiß ich nun aber nicht zu beantworten: es ist nämlich die: ob dieses Gewächs gleich Anfangs in dem concentrirten Zustande wie ich dasselbe erhalten habe entsteht und zunimmt, oder ob die Sache sich anders befinde. Denn freylich in dem Zustande von Concentration und Erhärtung wie es in meine ziemliche specifische Schwere, und kann nicht mit Unrecht für einen Stein gehalten werden. Bringt man es aber in feuchte Erde, so schwillt es außerordentlich auf, ja Theile davon, die man ins Wasser gelegt, haben Volum sechsfach vermehrt, ohne in dieser Proportion an Gewicht zuzunehmen. Es ließe sich also denken, daß dieses Gewächs in seinem ersten Zustande ausgedehnt, weich, weniger schwer und in der Art sich erzeigte, wie wir es finden, wenn wir es der Feuchtigkeit aussetzen, und daß es sich alsdann, bey sehr trocknem Sommer und große Hitze, in jenem steinähnlichen Zustand zusammenzöge. So wahrscheinlich dieses ist, so lassen sich doch dagegen einige Zweifel erheben, die ich hier der Kürze wegen nicht anführen will.

[105] Die mit diesem Product angestellten chemischen Versuche sind mir noch nicht umständlich bekannt geworden: es soll aber zum größten Theil aus Eiweißstoff bestehen und einen geringen Antheil von Thon mit sich führen. Dieses alles vorausgesetzt wende ich mich nun zu der diesem sogenannten Steine zugeschriebenen Vegetations- oder Reproductions-Kraft.

In denen Wörterbüchern worin der Pietra fungaja gedacht wird, erklärt man dieselbe durch einen Tuffstein auf welchem Schwämme wachsen, und so finde ich derselben auch in Reisebeschreibungen und sonst erwähnt. Allein nach meiner Überzeugung ist das Ganze ein kryptogamisches Wesen, welches wie schon oben bemerkt, den Trüffeln und einer gewissen bey uns beobachteten Art von Lykoperden ähnlicht, welche auch unter der Erde wachsen und zu ziemlicher Größe sich ausbreiten, Wurzeln die sie nicht verdrängen können, in sich aufnehmen, und in ihrem ersten unreisen Zustande inwendig mit einer Art von derbem Fleisch ausgefüllt sind, welches jedoch sich nach und nach in ein Zerstiebendes Pulver verwandelt. Die Pietra fungaja wäre nun hievon gerade das Gegentheil, indem ihr Inneres, welches unter einer sehr zarten bräunlichen Rinde verborgen liegt, dergestalt solidescirt, daß es nicht mit Unrecht für einen Stein gehalten werden kann.

Dieser solide obschon leicht zu schabende Körper hat eine große Neigung zum Wasser, dehnt sich wie[106] gesagt sehr darin aus, und es wäre die Frage, ob dieses Ausdehnen nicht selbst als ein neues Wachstum anzusehen sey und unter den erforderlichen Umständen ein wahres Increment veranlassen könne. Allein hiedurch würde dieses Naturproduct nicht zu seinem Ruf gelangt seyn: es soll ja wirklich eßbare Schwämme, welche von dem Grundkörper abgetrennt und gleichsam geärndtet werden können, hervorbringen. Bis jetzo hat sich bey seiner durchaus vegetabilischen Natur zu erwarten steht, hat er mancherley Schimmel-und Byssosarten erzeugt; und oben auf der ihn einige Zoll hoch bedeckenden Erde ließen sich, kurz vor meiner Abreise, eben solche von mir nicht bestimmbare lichen-artig sich verbreitende Astergewächse sehen, deren Substanz durch die Erdschicht durch, bis auf die angeschwollne Pietra fungaja selbst hinunterreichte.

Eine solche secundäre Erzeugung ließ sich, wie gesagt, wohl erwarten; allein die Frage entsteht nun, ob sich wirklich eßbare Schwämme aus und auf dieser Base entwickeln werden. Bis jetzt ist davon noch keine Spur, obgleich schon mehrere Monate dieser sogenannte Stein der Erde anvertraut worden. Sobald ich wieder nach Hause komme, werde ich sowohl diesen Gegenstand abermals genauer betrachten, als auch dasjenige näher zusammenstellen, was unsre Botaniker [107] und Chemiker uns zur Erläuterung mittheilen werden.

Ew. W. sind diesem wichtigen Gegenstande um so viel näher, haben selbst davon schon hinreichende Kenntniß, und sind in dem Fall durch Ihre Bekanntschaft und Einfluß wohl solche Aufklärungen zu erhalten, wodurch das Zweifelhafte in Gewißheit verwandelt und die Auflösung des Räthsels herbeygeführt wird.

Schließlich will nicht versäumen zu bemerken, daß mir über diesen Gegenstand eine lateinische Dissertation vom Anfang des XVII. Jahrhunderts in die Hände gekommen, der ich um so mehr erwähne als sie mir Gelegenheit giebt, das Zweideutige der bisherigen Nachrichten besser ins Licht zu stellen. Gedachte Abhandlung gleicht mehrern aus dieser Zeit: man lernt manches daraus, ohne deshalb, wie man wünschte, belehrt zu werden. Der Verf. geht jedoch wie ich auch zu thun genöthigt bin, von den Trüffeln aus, zu dem Kalktuffsteine, auf welchem wirkliche Schwämme wachsen: wie ja auch wohl noch zu unserer Zeit die blutstillenden Schwämme auf einem Felsen im Meer nahe an der Insel Gozzo sich erzeugen, deren Ärndte und Vertheilung sich der Großmeister ausschließlich vorbehalten hat, um die als ein würdiges Geschenk an Könige und Fürsten betrachtet wurden. Diese Naturproducte stehen jedoch mit unsrer [108] Pietra fungaja, nach meiner Überzeugung in keinem Verhältniß. Worauf es also zunächst hauptsächlich ankommt, wäre die schon genugsam constatirte Vegetabilität unserer Pietra fungaja noch genauer zu untersuchen, um über die Art ihres eigenen Wachsthums sowohl als über die Production und Reproduction verwandter Geschöpfe entschiedner belehrt zu werden.

Nehmen Ew. W. vorstehendes als eine dankbare Erwiederung gegen die für mich unschätzbare Gabe vorläufig an, und verzeihen, daß dieser Aufsatz nicht mit der Genauigkeit abgefaßt ist, die man bey solchen Gegenständen wohl fordern kann. Er ist entfernt von dem Körper selbst und von allen andern Hülfsmitteln in der für ernste Arbeiten so wenig günstigen Curzeit verfaßt. Erhalten Sie mir ein geneigtes Andenken, und bleiben versichert, daß wir uns der Zeit, welche Sie unter uns zugebracht haben, mit dem größten Vergnügen erinnern, an allen was Ihnen gutes begegnet aufrichtigen Theil nehmen und die thätige Geneigtheit, welche Sie uns erhalten wollen, auf das dankbarste zu schätzen wissen. Ich schließe dieses vielleicht schon zu lange Schreiben mit der Bitte, mich mit Nachrichten, welche über diesen Gegenstand zu Ihnen gelangen sollten, gelegentlich zu erfreuen, und mit der Versichrung der vollkommensten Hochachtung, womit ich die Ehre habe mich zu unterzeichnen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1811. An Giuseppe Gautieri. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8DB6-1