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An Christoph Ludwig Friedrich Schultz

So eben, mein theuerster Verehrter, als Ihr beyfälliger Brief bey mir ankam und die Geneigtheit verkündigte, das Hackertische Bild in Berlin restauriren zu lassen, war der gute Thioli beschäftigt, das Gewünschte hier an Ort und Stelle zu leisten, womit er auch glücklich zu Stande kam. Daneben hatte er eine treffliche Marine, wahrscheinlich von Bakhuzen, unternommen und machte sich damit gleichfalls viel Ehre. Erlauben Sie mir in ähnlichen Fällen mich, durch Ihre Vermittlung, an die Berliner Künstler wenden zu dürfen.

Verkauft von seinen geschnittenen Steinen und Gemälden hat er hier nichts; mir gab das Bild von Herodes und Herodias sehr viel zu denken und ich müßte viele Bogen schreiben, wenn ich aussprechen sollte, was mir bey dessen Anblick durch den Sinn ging; Sie kennen es wahrscheinlich und fanden es gewiß auch merkwürdig.

Ich habe dem guten Mann Empfehlung nach Oldenburg mitgegeben, wohin er sich zu wenden gedenkt. Ein großes bedeutendes Bild von Carracci, das freylich nicht in den besten Zuständen bey uns herum steht, erforderte zu viele Zeit, die er nicht aufwenden konnte, und wär auch theuer geworden, ob ich gleich die Restauration sehr gewünscht hatte. Er [68] glaubte, man verdiene daran vier bis fünf hundert Thaler.

Zu Ende des Monats geh ich nach Marienbad.Kunst und Alterthum erhalten Sie gewiß, die Naturhefte stehen am Schluß. Unseres Bräutigams versprochener Aufsatz ist heute, den 6. Juni, noch nicht angekommen; in wenigen Tagen bin ich genöthigt, fortzuschreiten. Ich hoffe, Sie werden manches Erfreuliche darin finden.

In jenem, von Ihnen gebilligten, barometrischen Gedanken ist mir wieder neue Noth zugewachsen; Umsicht nach allen Seiten wird gefordert, auch ist die Complication gränzenlos; doch indem ich festhalte, glaub ich hie und da übereinstimmende Puncte zu bemerken.

Die preußischen Abgeordneten, welche gegenwärtig Beobachtungen an der Ost- und Nordsee machen, haben uns auch eingeladen, und wir glauben das Nöthige beytragen zu können; ich bin verlangend über die mannichfaltigen Erfahrungen: denn sie haben ihr Netz weit ausgespannt. Sodann wäre neugierig, ob sie auf den Gedanken kommen, auch auf dem Meere in gewisser Entfernung correspondierende Beobachtungen anzustellen; mir würde das sehr bedeutend seyn, doch wollt ich mich unmittelbar nicht einmischen, es ergibt sich vielleicht auf andere Weise.

Ihr Namensvetter Botanicus ist sehr brav, und ich werde mir seine Schrift sogleich anschaffen.

[69] Einen trefflichen Aufsatz von Ernst Meyer, Privatdocent in Göttingen, mit meiner Anregung dazu, finden Sie im morphologischen Hefte; dort ist auch auf das gleiche Problem hingedeutet, womit hier der 125. Paragraph und besonders dessen Abschluß sich beschäftigt. Über die Sache, die so tief als weit ist, wüßt ich jetzt mich nicht zu erklären; möchten Sie aber näher herangehen, so ist nichts, was für den Augenblick mehr förderte, als eine so einsichtige als wohlwollende Recension meiner morphologischen und sonst wissenschaftlichen Hefte in der Jenaer Literatur-Zeitung Nr. 101. Es thaten sich verdienstvolle Männer zusammen, und ich habe Ursache genug ihren Bemühungen dankbar zu seyn.

Hier finden Sie nun, mein Bester, gerade was Sie zu wünschen scheinen, eine Übersicht dessen, was ich für Naturbetrachtung geleistet und in welchem Sinne. Es kommt mir wunderlich vor, daß ich noch einmal in's Leben zurückkommen mußte, um mich von dieser Seite so treulich abgespiegelt zu sehen. Und wenn es auch auf einen andern sich bezöge, würde mir die Behandlung Freude machen. Hier zeigt sich Scharf- und Tiefblick mit Wohlwollen verbunden, wodurch das Verdienstliche hervortritt und jede Bedingung, jede Berichtigung, die gewöhnlich hindert und verneint, sogleich förderlich und belebend ist.

Ihr mir zur Morphologie gegönnter Aufsatz, mein Werthester, hat schon in den Aushängebögen sehr[70] guten Effect gethan; dagegen kann man versichert seyn, die ablehnenden verneinenden Herren sterben nicht aus.

Herrn Uhden empfehlen Sie mich zum schönsten; der gebückte Ulysses kömmt nächstens zurück, ich habe ein paar Gypsabgüsse einer sehr schönen Medaille des 16. Jahrhunderts hinzugefügt. Es würde mir sehr angenehm seyn, wenn Herr Bischof Münter, der mir immer geneigt gewesen, und dem ich mich bestens empfehle, einen gleichen Abdruck wallte zukommen lassen; der Gedanke ist einer der schönsten, ich möchte ihn wohl von einem vortrefflichen Meister des Alterthums ausgeführt sehen.

Genauere Nachricht von Immermann wird mir viel Freude geben. Seit einiger Zeit hab ich wieder angefangen mich nach jungen Leuten umzusehen; aber freylich nach solchen, denen man einen Theil seines Nachlassens anvertrauen könnte. In Stuttgart findet sich ein schönes Individum dieser Art Namens Adrian, er hat ein verständiges Büchlein über die Priesterinnen der Griechen herausgegeben, woran mich vorzüglich besticht, daß weder Etymologie, noch Mystik, noch Sinnlichkeit darin spukt, von welchen lieben Ingredienzien die Productionen dieser Art jetzt selten frey sind.

Auch einem jungen Eckermann, der in Braunschweig lebt, hab ich eine Weile gefolgt, er hat sich gleichfalls an mir herangebildet und möchte zwischen [71] Schubarth und Zauper in die Mitte zu stehen kommen; nicht so kräftig und resolut wie jener nähert er sich diesem in Klarheit und Zartheit.

Sie haben aus meinen kurzen Sprüchen mit Ernst und Liebe sich ein Wort angeeignet; dieß freut mich höchlich, denn bey dieser Art, Samen auszustreuen, hat man keine Ahnung, was und wo es aufgehen möchte; erst wenn man es in andern wieder keinem sieht, versteht man, was es bedeutet.

Ist Schubarth fleißig an Paläophron und Neoterpe? wovon der Namensklang mir gar sehr will kommen klingt. Das gleichgenannte Drama war im Jahre 1800 zum Geburstage unserer hochgeliebten Herzogin Amalia aus dem Stegreif gedichtet und eingelernt, wie es vorschritt. Die Rolle des Alten für Graf Brühl, die der Neuen für das allergefälligste Wesen geschrieben, das ich je gekannt habe. Der Graf, vor etlich und zwanzig Jahren als trefflicher Jüngling durch die Maske des Bejahrten durchscheinend, und die junge frische Hebe paßten sehr gut zusammen, es waren schöne Tage und eine glückliche, dem Antiken sich annähernde Vorstellung. Zugleich erschien dieser Versuch als Ankündigung der Maskenspiele, die uns mehrere Jahre in Bewegung setzen und das Publicum unterhielten.

Und indem ich nun zu ruhiger Stunde mir solches Mittelalter gern wiederhole, so scheinen diese Gebilde abermals wohlthätig auf mich zu wirken. Vielleicht[72] kann ich nächstens zu Gunsten so werther Namensverwandten irgend etwas Nützliches und Erfreuliches leisten.

Die Sendung der Mutter-Gottes vom Tisch behalte mir bis zu meiner Rückkunft vor; Meyer geht nach Wiesbaden, und in drey Wochen ohngefähr hoff ich in Marienbad zu seyn, wenn nicht einige Wolken, die sich über unserer theuren Fürstin Gesundheit zusammenziehn, des Großherzogs Reise dorthin durch mehrere Verdüsterung aufschieben oder gar verhindern. Die Ärzte geben mir, auch selbst in der größten Vertraulichkeit, die beste Hoffnung; aber sorgliche Falten legen sich nach so manchen Unfällen in den Geist, daß man die Fähigkeit verliert, der Hoffnung die schuldige Nahrung zu geben.

Wann ich also wieder zu Hause seyn werde, wüßt ich nicht im voraus zu bestimmen, wahrscheinlich in der Hälfte Septembers; indessen erhalten Sie auf alle Fälle von Marienbad aus einige Nachricht. Auch nur eine entfernte Hoffnung, Sie wieder zu sehen, gibt mir neuen Muth, die Zwischenzeit möglichst zu nutzen. In der Stelle Ihres Briefes, wo Sie von Hackerts Gemälde sprechen, scheint es dem Ausdruck nach, als ob Ihr Restaurator das Gemälde von dem Tuch abnehme; man hat mir dieses Kunststück schon früher begreiflich machen wollen; hier ist denn freylich die Sicherheit einer kühnen Technik zu bewundern. Sehen wir doch eben in diesen Tagen zwey verwegene Pilger [73] auf dem Seil bis zum Glockenthurm steigen und von dorther, zu Rittern verwandelt, wieder herunterkommen; jedermann wird angst dabey, aber sie leisten es doch.

Maske sowohl als Drache sind auf Nr. 3 des Triumphzugs unverkennbar; ich bemerkte sie früher nicht, sonst hätt ich bey Herrn Roehden deshalb angefragt, welcher entscheiden konnte, ob schon der Maler die Ausdrückliche Intention gehabt, oder ob der Nachbildner sie erst hineingetragen? Allenfalls kann ich Gelegenheit nehmen es noch zu thun.

Indem ich diesen Brief fortzusenden zaudere, kommt unseres werthen Hennings Aufsatz noch nicht an; mag also Gegenwärtiges abgehen.

Vor einiger Zeit kam beykommender Brief von Eckermann bey mir an, den ich sende, weil er seinen Zustand ganz ausdruckt; nun so folgt er gestern selbst und erscheint als ein gar guter, feiner, verständiger Mensch. Da er keine weitere Bestimmung hat, so will ich ihn nach Jena einleiten und ihm dort einige Paquete abzudruckender Schriften zum Redigiren und Corrigiren geben. Nach dem Werke, das er mir geschickt hat, scheint er hiezu völlig geeignet. Da er sich an meinen Sachen heranbildete, so wird es keine Schwierigkeit haben, mit ihm sich zu verständigen.

In wenig Tagen, hoff ich, soll ein Exemplar Kunst und Alterthum wenigstens in Aushängebogen abgehen können, theilen Sie es Zeltern mit und grüßen ihn[74] schönstens. Die Jenaer Literatur-Zeitung Nr. 101-9 beschäftigt sich mit meinen Naturbetrachtungen; ich bin den Recensenten viel Dank schuldig, umsomehr, als ihre freundliche Anerkennung mich in den Stand setzt, über diese Dinge klarer zu denken und, mit mehr Sicherheit, schneller zu arbeiten.

herzlich zugethan

Weimar den 11. Juni 1823.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An Christoph Ludwig Friedrich Schultz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8DF8-D