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An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck

Ihr letztes Schreiben, mein Werthester, mit der Beylage, hat manche frühere Sorge und Bedenklichkeit aufgehoben. Meine zurückgehaltenen Papiere sind auch deshalb ganz ohne Werth, nur ward darin Ihre freundliche Stimme aus einer sonst so unfreundlichen Region nach Würden geschätzt; ich begriff nicht wie mir von dort her etwas Erfreuliches kommen sollte.

Alles aber was ich eigentlichst und herzlichst zu sagen hätte, könnte bloß mündlich geschehen, denn es ist vollkommen esoterisch; wie wollen Sie

1. Wahrhaftigkeit in die Wissenschaften bringen, welche durch so viele einzelne angehende, mittlere, ältere, älteste Individuen mehr oder weniger getrieben, genutzt und behauptet werden; wie wollen Sie die Knoten auflösen, die ich Ihnen hier nur Lakonisch vorlege: Priorität, Anticipation, Präoccupation, Plagiat, Posseß, Usurpation, und wie der Greuel alle heißt.

2. In Gefolg dessen, obgleich gewissermaßen lyrisch die Zwischenglieder überspringend, widerrathe den Vorschlag: die übrigen deutschen wissenschaftlichen Vereine sich zu affiliiren. Diese äußere Form führt Sie zu nichts, sie schmeckt ein wenig nach Autorität, die dem Deutschen immer verhaßt war und immer verhaßter wird.[78] Vertrauen aber schenken die lieben guten Landsleute gern und nur dadurch kann man werden, bleiben und wirken.

3. Deswegen wäre für Sie das Gerathenste, sich im Stillen umzusehen was denn von Individuen in Ihrem, in unserm Sinne bisher männlich wirke, gewirkt habe, oder sich jugendlich bestrebe. Diese auch ohne äußere Form zu versammeln, festzuhalten, mit ihnen lebendig zu wirken ist keine Kunst, ist die Natur selbst und muß gedeihen.

Was übrigens das eigentlich Exoterische betrifft, so bedürfen Sie dazu weder Rath noch Beyhilfe. Ihr schöner Feenpallast auf altem geistlichen Grund und Boden, zu behaglichen Zwecken errichtet, giebt für die Wissenschaften ein Merkzeichen, welches Augen und Sinn anzieht. Als Präsident der edel gegründeten würdigen, gerade zur jetzigen Zeit, als zur glücklichsten Epoche, wieder zu belebenden Anstalt, sehen Sie Ihren äußeren Wirkungskreis gränzenlos, und ich freue mich noch Zeuge zu seyn, wie weit Sie ihn erstrecken und wie würdig Sie ihn ausfüllen.

Freylich hätt ich noch tausenderley Dinge, die ich als geheimes Fideicommiß Ihrem Treuglauben hinterlassen möchte. Da solche aber nur mündlich geschehen kann, so wäre mir nichts wünschenswerther als Sie diesen Sommer besuchen und mich an Ihrer Thätigkeit kräftigen zu können.

[79] Mögen Sie Sorge tragen daß die Astern bey mir zu rechter Zeit anlangen, werden Sie mir viel Vergnügen verschaffen. Dagegen hoffe zu rechter Zeit an Samen und Pflanzen einiges übersenden zu können, damit ich aber nicht ganz fehlgreife, so werden Sie wohl die Gefälligkeit haben, mir anzuzeigen, womit Ihnen am meisten gedient wäre.

Nun aber, indem ich das Geschriebene übersehe, kommt mir Inhalt und Ausdruck ganz anders vor, als da ich's dictirte; fast mögt ich das Blatt abermals zurückhalten, und sende es nur fort in Hoffnung, daß Sie es als freygesprochenes Wort am Ufer des Rheins aufnehmen, und sich selbst einen Commentar über diese gedrängten Zeilen vorsprechen werden. Lassen Sie mich nicht lange ohne Nachricht. Alle echte Thätigkeit, gewiß auch die Ihrige, eilt einer jeden Vorstellung, die man sich davon machen könnte, vor.

Tausend Lebewohl und Empfehlungen an die Mitbewohner des Paradieses.

ergebenst

Weimar den 17. Februar 1819.

Goethe. [80]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8E03-B