11/3424.

An Johann Heinrich Meyer

Ich habe nun zwey Briefe von Ihnen vor mir Nr. 8 und 9. Am 7. Octobr. als Sie den letzten schrieben, waren drey von mir abgegangene Briefe noch nicht in Ihren Händen:

Nr. 16, den ich mit einer gedruckten Idylle in der großen Verwirrung der Dinge über Frankfurt schickte, vom 17. August.

Nr. 17, worinn die Nachricht enthalten war, daß Ihr Credit bey Eschern gemacht sey, vom 15. Sept.

Nr. 18 vom 12. Octobr. worinn ich Ihnen Ihre Rechnung schickte und von Gernings Anzeige, daß er wieder nach Italien gehen wolle, Nachricht gab.

NB. Sie haben recht gemuthmaßt, es fehlt Ihnen keiner meiner Briefe, ich habe eine Nr. übersprungen.

Herr Escher hat mir indeß sehr höflich geantwortet und sowohl Ihnen als mir künftig seinen Credit angeboten. – Die Beschreibung der Zimmer der Prinzessin Altieri ist angekommen, wir haben sie mit vieler Freude in die Horen gesetzt. Heute erhalte ich das 9. Stück worin sie steht. Gedruckt habe ich sie [246] noch nicht gesehen. 1 – Mit den hetrurischen Gefäßen ist es, wie Sie mir schreiben, doch eine gar sonderbare Sache, Sie werden aber gewiß, bey weiterer und näherer Betrachtung, auf den Grund dieses Phänomens kommen, man hat freylich immer nur zu sehr beym Erklären und Klassificiren alter Kunstwerke das materielle walten lassen und seltner Gestalt, Sinn und Kunstwerth um Rath gefragt. – Da ich eben in meinem Cellini an den Guß seines Perseus komme, und durch Sie von seinen herrlichen Vorgängern höre, so wird es mir recht deutlich wie man von dem reinen Wege der Natur und der gefühlten und überlegten Kunst, durch Phantasie und Leidenschaft bey einem angebohrnen großen Talent, auf den Weg der Phantasterey und Manier gerathen könne und müsse. Wenn man hört, wie er gearbeitet hat, und was er an sich rühmt, so ahndet man was seine Werke seyn müssen.

Möchte ich doch die trefflichen Arbeiten seiner Vorgänger, die Sie mir nennen, bald mit Ihnen anschauen! Denn was nur durch die Sinne gefaßt werden kann, dessen Erzählung erregt im Gemüth eine lebhafte und beynah ängstliche Sehnsucht, und je genauer wir von solchen Gegenständen sprechen hören, desto gewaltsamer strebt der Geist nach ihnen. –

Ihre Beschreibung von Fiesole in Nr. 9 hat mich außerordentlich erfreuet, das wäre so ein Anfang, wie[247] ich dereinst unsere Topographie ausgeführt wünschte, anstatt daß man die Leser immer mit Wiederholung der Straßen und Wegebeschreibungen ermüdet. – Es ist mir sehr lieb, daß Ihnen die vortreffliche reisende Dame aufgestoßen ist und daß Sie durch dieses Mustersbild einen Begriff von dem christlich-moralisch-ästhetischen Jammer bekommen haben, der sich an den Ufern der Ostsee in der ohnmächtigsten Aufgeblasenheit versammelt. Es ist weder ein Bund noch eine Gesellschaft sondern der höchste Grad von Schwäche, Armuth, Verworrenheit und Eigendünkel, der sie verbindet, denn im Grunde sind sie mit einander gar nicht einig als darinn, daß sie gerne alles was sich über den Niveau ihrer Misère erhebt dem Erdboden gleich machen möchten.

Wir haben in dem Schillerischen Musenalmanach eine sehr lebhafte Kriegserklärung gegen das Volk gethan und sie so gewürzt daß sie wenigstens jedermann lesen wird, denn da die Gesellen mit ihrer Druckserey, Schmeicheley, Schleicherey und heiligen Kunstgriffen aller Arten, immer, theils im Stillen fortfahren, theils auch sich gelegentlich mit einem vornehmen Christenblicke öffentliche sehen lassen; so bleibt nichts übrig als ihnen hartnäckig und lebhaft zu zeigen, daß man in der Opposition verharren werde. – Der alte Kant hat sich, Gott sey Dank, endlich über die Herren auch ereifert und hat einen ganz allerliebsten Aufsatz über die vornehme Art zu Philosophiren in [248] die Berliner Monatschrift setzen lassen, er hat niemand genannt, aber die philosophischen Herrn Aristokraten recht deutlich bezeichnet. Ich hoffe wir sollen uns bey unserm bösen Ruf erhalten und ihnen mit unserer Opposition noch manchen bösen Tag machen. Sie haben zwar die Menge für sich aber es wird ihnen doch immer weh, wenn man auf ihre Schattengötzen auch nur mit der Laterne zugeht und dann ist es das lustigste daß, Sie bey andern Parteyverhältnissen, die Familien unter sich nicht einig sind und ehe man sichs versieht einmal ein Sohn oder eine Tochter sich zu unserm credo herüberneigt. Hier steht ein kleines Gedicht von mir aus gedachtem Musenalmanach:


Der Chinese in Rom.


Einen Chinesen sah ich in Rom, die gesammten Gebäude,
Alter und neuerer Zeit, schienen ihm lästig und schwer.
Ach! so seufzt' er, die Armen! ich hoffe sie sollen begreifen
Wie erst Säulchen von Holz tragen des Daches Gezelt,
Daß am Latten und Pappen, und Schnitzwerk und bunter Vergoldung
Sich des gebildeten Aug's feinerer Sinn nur erfreut.
Siehe, da glaubt' ich, im Bilde, so manchen Schwärmer zu schauen,
Der sein lustig Gespinnst mit der soliden Natur
[249]
Ewigem Teppich vergleicht, den ächten, reinen Gefunden
Krank nennt, daß ja nur er heiße, der Kranke gesund.

Da nun der allergrößte Verdruß, den man diesem pfuscherischen Volke anthun kann darinne besteht, wenn man jede Kraft die an einem ist, besser und lebhafter ausbildet und sich und sein Talent immer fortschreitend und fruchtbar sehen läßt; so gratulire ich zu der vollendeten Madonna, ich freue mich im Geiste sie dereinst bey uns aufgestellt zu sehen. Arbeiten Sie ja vor allen Dingen für sich und für uns und sorgen Sie für Hausgötter in das große noch immer leere Gebäude. Ich will das übrige nöthige nicht versäumen. Sobald Sie Ihre Kunstbemerkungen aufgeschrieben haben so machen Sie sich an das beste und liebste was Sie vor sich finden. Über die Farbenterminologie will ich Ihnen ehestens meine Gedanken aufsetzen.

W. d. 30. Ocktbr. 96.

G.


Note:

1 Heute erhalte ich das 9te Stück worin sie steht.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1796. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8E24-3