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An Johann Friedrich Heinrich Schlosser

Die Wirkung in die Ferne, theuerste geliebte Freunde, läßt deshalb immer nach, weil wir doch [113] eigentlich Menschen sind, die am Augenblick und vom Augenblick leben, und wenn wir uns mit entfernten Freunden von dem was uns innigst interessiert unterhalten sollen, so fühlen wir einen Zweifel, ob denn das was uns eben beschäftigt auch gerade dort greife und nicht vielleicht als ein Fremdes und Unwillkommenes auftrete?

So habe ich in allem dem, was ich sonst mit Freund Christian zu verhandeln pflegte, manches vor mich gebracht, das ich mitzutheilen zaudere, weil ich nicht unmittelbare Theilnahme und Förderniß erwarten kann: denn wie verschieden ist mein Zustand in dem für Wissen und Unterricht neu erregten und doch stillen Jena, gegen Ihr Frankfurter Leben, das an und für sich schon das bewegteste ist und nun durch das wogende Interesse von ganz Deutschland noch gewaltsamere Brandungen bildet und erlebt.

Wenn ich nun also zur Eröffnung einiger erneuten Mittheilung vermelde, daß ich, in meinen Betrachtungen zurückschreitend, ältere Papiere und deren Naturwissenschaftlichen Inhalt zu redigiren und drucken zu lassen vorhabe; so spricht sich gleich mein Zustand gegen den Ihrigen sehr deutlich aus. Möge das was ich jetzt im Druck verfasse zunächst Ihnen beiden geliebten Brüdern zu irgend einer Aufregung des Gefühls oder Gedankens Anlaß geben.

Von Kunstsachen etwas anzuschaffen habe wenig Gelegenheit gehabt. Mein Studium des sechzehnten[114] Jahrhunderts verleitete mich eine Sammlung Majolika in Nürnberg zu kaufen, diese Acquisition gereut mich nicht, denn wenn diese Fabrikarbeiten einzeln wenig Werth haben, so sind sie doch bedeutend wenn sie zusammen auf eine abklingende höhere Kunst hindeuten. Sollte sich etwas in der Art in Frankfurt finden, so bitte meiner zu gedenken.

Das zweyte Rhein- und Mayn-Heft liegt hiebey, ich wünsche demselben Ihre Theilnahme und Mitwirkung. Die weimarischen Kunstfreunde hielten es für eine Gewissenssache länger zu schweigen, vielleicht hätten sie früher sprechen sollen, denn was für schöne Talente auf diesem falschen Wege vergeudet werden, ist bejammernswürdig; von Rom hört man die seltsamsten Ausbrüche einer Parteiwuth ohne gleichen. Haben Sie mir etwas Tröstliches zu sagen, so thun Sie es ja.

Wunderbar trifft mit diesen germanischen Verirrungen der glückliche Umstand zusammen, daß die kostbarsten Reste der alten Kunst nach Europa gebracht werden. London und München werden künftig die Freistädte wahrer Kunstbildung bleiben. Über andere Dinge wo das Zeitalter auch sich vom rechten Wege zu verlieren scheint, hätte ich noch gar manches zu sagen, verspare es aber auf erfrischte Wechselwirkung, die ich zunächst am Rhein und Mayn wünschte persönlich hervorblühen zu sehen.

Nach diesen erfreulichen und höheren Dingen will[115] ich denn auch eines beschränkten Irdischen gedenken. Ich säumete zu schreiben da Sie äußerten, daß die Witwe Ochs, unter Anführung einiger günstiger Hoffnungen, um Stundung gebeten habe. Ist diese Hoffnung nicht erfüllt, hat sie ihre Obliegenheiten nicht geleistet, so bitte den Rechtsgang in seiner Strenge walten zu lassen. Möchte sich der von Ihnen genannte Rechtsfreund mit mir in Rapport setzten, so würden Sie, mein Werthester, durch diese unangenehme Sache nicht gerade persönlich behelligt. Streng zu seyn geziemt wohl dem Eigenthümer und dem Sachwalter, die Mittelsperson hat immer eine peinliche Lage.

Viele Empfehlungen den theuren Ihrigen!

anhänglichst

Jena d. 1. Juni 1817.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Johann Friedrich Heinrich Schlosser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8E79-5