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An Josephine O'Donell

Als ich einst den freylich etwas wunderlichen Gedanken äußerte, daß es doch ein Unterschied seyn möchte, ob correspondirende Freunde zusammen in den Kaiserl. Erbstaaten lebten, oder ob ein Brief erst über die Grenze gehen müsse, kam dieses einer trefflichen Freundinn sehr seltsam vor und sie behauptete, es sey ganz einerley, welcher Ort auf der Adresse stehe, weil denn doch der Brief, früher oder später, in die rechten Hände kommen werde. Aber leider soll ich dießmal, wie es scheint, wider Willen recht behalten: denn wenn ein gewisser Brief, den ich vorlängst abgesendet und in welchem ich mich, nach meiner Weise, treu und freundlich dargestellt, nicht verloren gegangen, sondern wirklich in die Hände der edlen Freundinn gekommen, so muß es mich sehr betrüben, daß bisher von derselben gar nichts weiter zu vernehmen gewesen, und dieses um so mehr, als die äußeren Umstände von der Art sind daß einem jeden Gutdenkenden eine innere Erquickung wohl zu gönnen wäre.

Gewissermaßen als Flüchtling aus dem sehr ruhigen Thüringen in dem friedlichen Böhmen angelangt,[332] ist mein Erstes, die Augen oftwärts zu wenden und zu hoffen, daß mir von dorther einige gnädige und freundliche Blicke möchten entgegen kommen. Ich bedarf deren um so mehr, da ich gleich den ersten Tag meiner Abreise von aller Communication mit dem was ich zu Hause liebe und verehre, abgeschnitten worden, jetzt wenig mehr von dorther weiß, als was der Ruf mir sagt, der, wenn er auch, wie immer, vergrößert, doch nicht das Beste meldet.

Unserer Erbprinzeß Hoheit befindet sich hier in demselben Falle, und wir Kleinen bescheiden uns um so eher, wenn uns ein ungünstiges Schicksal trifft, da wir es mit den Großen theilen, die nicht allein durch ihren Stand, sondern auch durch ihre herrlichen Eigenschaften über solches Unbild der Zeit erhoben seyn wollten. Heute ward sie durch den Besuch ihres kaiserlichen Bruders erquickt und beglückt. Sie erheitert zu sehen ist jedem der sie liebt und verehrt die größte Wonne.

Sollten Sie nun fragen, verehrte Freundinn, wo ich denn eigentlich wohne? so liegt jetzt die Aussicht aus meinem Fenster bey, die Sie hoffentlich nicht verkennen werden. Sie ersehn daraus, daß ich in dem kleinen Gartenhaus wohne, das goldne Schiff rechts habe, mich aber vergebens nach den Eckzimmern und ihrer vormaligen Bewohnerinn umsehe.

Das Fürstenhaus ist sehr hübsch neu eingerichtet und freundlich decorirt. Dieß berechtigt zu den schönsten [333] Hoffnungen. Wo und wie ich für ewig empfohlen seyn möchte, dieß nehmen Sie mir aus dem Munde. Das schöne Album, in welchem freylich der Herzog nur noch allein sich eingeschrieben hat, ist wieder mit hier. Ich hoffe, es soll Glück haben und mir Glück bringen. Wie viel kommt nun zusammen um die Hoffnung zu nähren daß die Freundinn mir nicht weiter schweigen wird. Wie unveränderlich ich Ihnen ergeben bin fühle ich erst jetzt an dem Orte den Ihre Gegenwart verschönte. leben Sie tausendmal wohl und lassen mich nicht lange auf ein Paar Zeilen warten!

Töplitz den 27. April 1813.

abgegangen d. 30ten.

Goethe.


Noch ein Blättchen lieg ich bey um zu sagen daß ich eben von Weimar ganz gute Nachrichten erhalte. Der Herzog hat sich von einem Übel am Fuße wieder hergestellt. Im ganzen genommen haben sie von dorther weniger von Unglück als von Angst, Sorge und Unbequemlichkeit zu sagen. Wer findet jetzt nicht immer einen dem es noch schlimmer geht als ihm.

Leider ist Töplitz jetzt so eine Art von Fegefeuer wo sich halbverdammte Seelen unter einander peinigen indem sie sich zu unterhalten gedenken.

Alle Gute Geister mit Ihnen!

G. [334]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Josephine O'Donell. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8E9A-A