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An Carl Franz Anton von Schreibers

[Concept.]

Ew. Hochwohlgeboren

höchst erwünschte Zuschrift trifft mich, der freundlichen Absicht gemäß, gerade in dem Augenblick, da ich meine Trennung von Carlsbad vorbereite. Alle Ihre lieben und guten Segenswünsche sind in Erfüllung gegangen: denn ich wüßte kaum ein Jahr, wo mir der Gebrauch dieses Wassers so vortheilhaft gewesen wäre.

Die angekündigte kleine Sendung war so eben eingepackt, die Verzeichnisse, mit einigen Bemerkungen, niedergeschrieben, und so möge denn das alles zusammen Ihrer Nachsicht empfohlen seyn. Bey einem[39] weiten Umblick wissen Sie schon der Pedanterie des Monographen freundlich zu verzeihen, und weil wir Menschen doch immer meinen müssen, so werden Sie auch den hier und da geäußerten Meinungen nicht abhold seyn.

Die Geologie der hiesigen Umgebung beschäftigt mich schon mehrere Jahre: denn da die Ärzte sagen, man solle weder lesen noch schreiben und zuletzt auch nicht einmal denken; so möchte denn doch wohl das ruhige Anschauen der Natur unterhaltend und erquicklich bleiben. Hier sind es nun vor allem Felsen und Gestein, was unsre Aufmerksamkeit an sich zieht, Ältestes, Neueres und Neustes in die Tiefen der Vorwelt eingeschlossenes, sodann im Gegensatz an jedem Tage erzeugtes, wodurch man denn immer von der Wirkung zur Ursache und von der Ursache auf ein Höheres geleitet wird. In diesem Sinne habe ich nun seit bald vierzig Jahren Carlsbad besucht, immer Neues bemerkt und Bewundernswerthes gefunden.

Indem ich nun aber mich auf die von mir commentirte Joseph Müllerische Sammlung berufe, ein Exemplar meines früheren Aufsatzes beylege, so fällt mir ein, was früher meine Hauptfrage hätte seyn sollen, ob nämlich eine solche Sammlung sich wirklich in denen Ew. Hochwohlgeboren untergebenen Museen befinde? Sollte sie daselbst nicht vorhanden seyn, so würde ich bey meinem nächsten hiesigen Aufenthalt, vielleicht auch gar von Weimar aus, [40] wohin ich seit so manchem Jahre bedeutende Stücke gesendet, eine solche und zwar mit den neuesten Erfahrungen bereichert überschicken können, wo sich denn das gegenwärtig Übersendete gar wohl einschalten ließe. Hier am Orte ist seit Joseph Müllers Tod niemand, der sie zusammenbrächte, ob sich gleich viele mit dem Einzelnen befassen.

Der geologische Bestand des Urgebirgs in seinen wunderlichsten Abweichungen, bis zuletzt die großen Kohlenlagerungen sich ansiedelten und diese wieder Erdbrände verursachten, giebt zu [so] mannnichfaltigen Betrachtungen Anlaß, daß der Curgast sich selbst und seine Übel vergißt und man für lauter Denken nicht zum Denken kommt.

Schließlich kann ich mich aber nicht enthalten, mit wenig Worten auszudrücken, wie sehr mich der Umstand rührt, daß meine Sendung in der Nähe von jener verwahrt werden soll, die von der Umgegend von Töplitz sich durch die Vorsorge der Höchstverehrten schon dort befindet. Diese Sammlung, der ich mich noch recht wohl erinnere, bezeichnet eine für mich entscheidende, höchst glückliche Zeit, und ich will lieber mit fremden als mit eigenen Worten schließen:

Infandum jubes renovare dolorem.

Carlsbad den 23. May 1820.
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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Carl Franz Anton von Schreibers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8EB4-E