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An Johann Heinrich Meyer

Weimar d. 28. October 1817.

Ihr, mit Sehsucht erwarteter Brief ist glücklich angekommen und mit Freuden empfangen worden. Die liebe Hoheit nimmt fortdauernd treulichen Antheil an Ihren Zuständen. Eh ich aber erzähle wie mir's bisher gegangen erwidre ich zuerst den Inhalt des Schreibens.

Es wird sehr löblich seyn wenn Sie über die Boisseréeschen Besitzungen nach dem angedeuteten Sinne einen kleinen Aufsatz fertigten, der uns und den Freunden diente, übrigens bin ich völlig der Meinung daß wir, da die Sache anfängt in Worten streitig zu werden, bei dem was schon gesagt ist beruhigt, unsere Aufmerksamkeit auf Gegenstände wenden die näher liegen und für uns fruchtbar sind.

Was die Anschaffung von Kunstwerken betrifft, wollen wir in unserm alten Gleise bleiben, auf [289] Gemälde renunziren und was uns, besonders von Kupfern, wohlfeil in die Hände läuft annehmen. Die sämmtlichen Leipziger Bestellungen habe sehr wohlfeil erhalten. Ich werde mit Weigel in Verbindung bleiben, aufpassen was die Liebhaber gerade jetzt nicht mögen und darnach greifen. Von Romeyn de Hooghe, ein Blatt, welches sämmtliche Tugenden des Meisters enthält, trefflichen Abdruck, habe für Einen Groschen erhalten. Bey dieser Gelegenheit habe mehrere große Blätter von Niederländern und Italiänern, wichtige Weltbegebenheiten darstellend, zusammen gelegt, bildliche Zeitung die im 17. Jahrhundert sehr Mode waren, von den fertigsten Künstlern geistreich radirt:Luytkens Bartholomäusnacht p., finden Sie etwas der Art so nehmen Sie es mit, es sind öfters zerstreute Blätter aus größern Werken. Von Stella erhielt ich ein sehr schönes Florentinisches Fest. In allen diesen Blättern ist eine Art Poesie, wodurch der Vorfall eindringlich wird, spätere Darstellungen der Art werden gemein prosaisch, obgleich sehr genau und sauber gestochen.

Nun glaub ich aber nicht besser thun zu können, als daß ich meine Tagbücher nachsehe, die Hauptpuncte mit denen ich mich beschäftigt Ihnen kürzlich vorlege.

Gleich am Tage Ihrer Abreise kam jene Leipziger Sendung an. Das Betrachten und Einrangiren der Blätter veranlaßte eine Bewegung in meiner Sammlung die noch fortfährt. Man fand daß neue Portefeuilles [290] müßten angeschafft werden wenn man einigermaßen zu Ordnung und Klarheit kommen wollte. Dieses ist nun im Werk und wird sich zwar eine Schule vor der andern, doch keine ganz leer ausnehmen.

Eine Darstellung der jenaischen Museen, damit man endlich einmal über diese Gegenstände und die erforderlichen Kosten klar werde, hat mir viel Zeit geraubt. Indessen ist doch etwas gethan. Nun will der Großherzog das stockende Wesen der jenaischen Bibliothek aufgelöst und in's Leben gebracht sehen; das ist eine langwierige und schwierige Sache aber nicht unmöglich wenn man Schritt vor Schritt geht. –Schriften von Hermann, Creuzer, Welcker haben mich über alte Kunst Mythologie denken machen, aus den Bemühungen dieser Männer entspringt viel Gutes, nur wird das gefundene Rechte gleich wieder durch entgegengesetzte Individualitäten verscharrt und verschüttet. Die Masse von Worten nimmt zu, man sieht zuletzt von der Sache gar nichts mehr. Dagegen aber nur Personen, wo ein jeder sich anders nimmt. Welcker hat Zoega's kleine Abhandlungen gesammelt, übersetzt und mit Noten begleitet, dieß ist eine verdienstliche Arbeit, und da Zoega noch von der älteren Zeit ist, so findet man sich in bekannter gewohnter Gesellschaft. – Herr von Münchow kam nach der Hoheit Wunsch herüber, und da er den wahren Sinn des Zustands gefaßt hat, daß [291] Bildung und Belehrung gleichen Schrittes gehen müssen, so ist und war seine Gegenwart sehr vortheilhaft; kann die Hoheit sich auch überzeugen, daß Thätigkeit im ruhigen Gang schön und zweckmäßig wirkt, und daß es weder Hetzens noch Sorgens bedarf, um zu einem edlen wohl in's Auge gefaßten Ziel zu gelangen; so wird dem Geschäft, ihr selbst und uns allen geholfen seyn. Denn gerade das Bißchen zu viel was sie in die Sachen legt giebt dem Widerspruchsgeist eine Art von Recht, auch das zu tadeln was nothwendig ist. Die Kinder im ganzen sind so gut umgeben als möglich. Frau v. H., überverdient zu dieser Stelle, ist als Ober-Gouvernante bestätigt, die beiden andern stehen gar zu hübsch in ihren Rollen und ob ich gleich der Abwesenden sehr günstig bin, so fürcht ich doch bei ihrer Rückkehr eintretende Wahlverwandschaften, deren Pro- und Educte man nicht berechnen kann. – Von England sind uns die kostbarsten Sachen zugekommen. Man weiß nicht wie man alles zurecht legen soll. Die Elgin Marbles mit dem ganzen Erfolg, immer wieder und wenigstens bequemer dargestellt, sind uns beynah so bekannt als wenn wir sie gesehen hätten. Die Preise der Gypsabgüsse sind auch schon da und das Continent wird bald mit diesen herrlichen gebildeten Massen übersetzt seyn, wie mit schlechtem Cattun und sonstigem Gewebe. Den einen Pferdekopf will ich gleich bestellen, damit es unmöglich sey die dazu gehörigen Heroen zu entbehren.[292] – Die Architecten haben sich auch trefflich erwiesen und uns ein Werk mit den genausten Abrissen, auf's vollkommenste gestochen mitgetheilt, wodurch wir das alte Eleusis und seinen Bezug auf Athen gar lebendig kennen lernen. Da ist ein Tempel der Diana in Antis mit zwey Säulen dazwischen, ein Schatzkästchen, das niedlichste was die Welt je gesehen hat und das eben, weil sie sich in einem mäßig ausgedehnten aber formreichen Raum bewegt. Auch hat einer die Kunstgeschichte phrasenhaft aber nicht schlecht, wie es jetzt wohl möglich ist, aufgestellt, gleichsam als Einleitung, denn das höchst Interessante des Buches ist die Geschichte, wie in England die Liebe der plastischen Reste begonnen und überhand genommen. Lord Arundel steht oben an, vom übrigen darf ich nichts sagen weil es gar zu menschlich, wunderlich, individuell, fatal und unerfreulich ist. Von allen diesen senden wir Ihnen die Titel und vielleicht nähere Bezeichnung. – Am allerzudringlichsten aber sind die bedeutenden Werke wodurch wir Indien immermehr kennen lernen; so haben wir Java ganz zur Hand und man muß gestehen daß dergleichen Öffentlichkeit noch niemals war. Wir erfahren alles was in der Welt vorgeht und wie und warum, Engländer erzählen es uns mit der größten Gemüthsruhe, weil sie wissen daß die Welt ihnen gehört.

Nun will ich aber, da das Blatt zu Ende geht, Sie noch schönstens begrüßen und das Beste wünschen.[293] Schreiben Sie auch manchmal und senden bald. Die schöne Hoheit theilt mir Ihre Briefe mit und das ist eine Art Zusammenseyn da ich nicht mehr aus dem Haus komme, als mit den Kindern zu speisen wie gestern, damit das Evangelium umgekehrt werde, indem die kleinen artigen Wesen manchmal verlangen daß ich bey Ihnen erscheine. Alles steht übrigens da so gut, daß man gern gegenwärtig seyn mag. Und nun ein tausendfaches Lebewohl!

Weimar den 29. October 1817.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8EBB-F