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An Sulpiz Boisserée
Auf Ihren letzten lieben Brief habe noch nichts erwidert, bin aber in Gedanken oft bey Ihnen gewesen. Heute kommt mir der neuste vom 3. d. M. [274] zu recht ominoser Zeit: Ich studirte das Manuscript des 4. Bandes meiner Biographie, welcher theilweise geschrieben und dessen letzte Bogen, so wunderlich es auch scheinen möchte, schon in Ordnung sind. Dieser Band endigt mit dem Entschlusse von Heidelberg aufzubrechen und nach Weimar zu gehen. Sehr gut paßte hiezu Ihr lieber Brief, worin auch von Entschlüssen die Rede ist, und mit jener Zeit vortrefflich harmonirt, da jugendlicher Muth mich belebte, von dem Sie nun durchdrungen sind. Ich rühme Ihre Beharrlichkeit, Festigkeit und Klugheit, reise Ihr Glück, welches Sie zu erfassen munter und aufmerksam genug sind. Es wäre gewiß höchst merkwürdig, wenn jenes Zögern Ihnen einen heitern Platz anwiese. Was die Nachschrift meldet, ist freylich ganz nach meinem Sinne und Wunsch: Rath und Entschluß hat Ihnen in Ihrem Kreise niemals gefehlt.
Aus der Anbetung des Lammes hab ich eine Gruppe alter Herrn in dem letzten Hefte des d'Agincourt gefunden, ihre Mützen, Gesichter, Mäntel, Bücher und Gebärden wundersam vermannigfaltigt und köstlich componirt. Möge ich die Copien dereinst an Ihrer Seite bewundern. Ihre Sendung erwarte mit Freude und Dank und werde den Wiederschein Ihrer Schätze, den Sie mir gönnen, gar treulich gewahr werden und hegen. Ihr freudiges Aufnehmen meiner Italiänischen Reise thut mir sehr wohl und ich werde um desto fleißiger an dem 2. Theile arbeiten.
[275] Wie vor Zeiten die älteren Autoren für uns Jünglinge schrieben, so müssen wir für euch Jünglinge schreiben. Einem Verfasser müßte schaudern, wenn er bedächte, wie viele Leser nichts zum Buche hinzubringen, weder Kenntniß noch Empfänglichkeit, ja wie viele blos lesen um dabey geruhig einzuschlafen. Den Sturmschritt haben Sie ganz richtig empfunden und sind ihm treulich zur Seite geblieben. Auch die Ungerechtigkeiten beurtheilen Sie einsichtig und gerecht. Dergleichen herbes Unreife paßt wohl zu dem Drange des Beginnens, alles dieses wird, noch eh der Reisende über die Alpen zurückkehrt, süßer und genießbarer. Besäß ich nicht die getreuen Tagebücher und beinah sämmtliche aus Italien geschriebene Briefe, so könnte das Werkchen diese Unmittelbarkeit und Frische nicht haben. Die früheren Eindrücke verlöschen, die Resultate bleiben freilich, das ist denn auch wohl der Zweck, aber früher war das Leben.
Daß Sie mich darin wieder erkannten und mit Neigung unserer späteren aber gewiß auch belebten und unschätzbaren Verhältnisse gedachten, erfreut mich höchlich. Wie manches Gute ist mir dabey geworden. So wie z.B. gerade in diesem Augenblick Ihr Brief mir anregend und aufrichtend erscheint.
Das Rhein- und Maynheft, 2. Stück, liegt in den Händen des Setzers. Es enthält das famose Rochusfest, dem ich meine Sommer-Einsamkeit in Tennstedt gewidmet hatte und einen Aufsatz, überschrieben: Neu-Deutsche [276] religios-patriotische Kunst. Ich wünsche daß er gerecht, ja billig gefunden werden möge. Die Liebhaber, welche die ältern Kunstwerke retten und sammeln, werden höchlich gepriesen, den Künstlern, die jene alte Art wieder hervorsuchen, wird ein Spiegel vorgehalten, den wir recht hübsch plan zu schleifen und gut zu poliren gesucht haben. Ob von Ihren Besitzungen zu reden Platz bleibe, ob und was davon zu sagen? darüber läßt sich noch conferiren. Mögen Sie mir etwas über den Straßburger Münster mittheilen, so soll es mir sehr willkommen seyn. Viele Grüße dem wackern Gesellen.
Abgegangen
Weimar d. 16. December 1816.
Goethe.