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An Carl Gustav Carus

Es ist für ein großes Glück zu achten, wenn wir das alte Wort auf uns anwenden können: Was man in der Jugend wünscht, hat man ein im Alter genug. In vielen Fächern ist mir das gute Geschick geworden, besonders auch in diesem, welches Ew. Wohlgeboren mit soviel vorzüglichem Talent bearbeiten.

Mit sehr angenehmen Gefühl erinnere ich mich der achtziger Jahre, als die vergleichende Zergliederung mir das höchste Interesse und die Überzeugung einflößte, [21] daß nur auf solchem Wege Einsicht in die lebende, ja in alle Natur, wie sie auch erscheinen möchte, zu erwerben sey. Camper hatte mächtig gewirkt; ich stand kurz vor seinem Ableben mit ihm in einigem Verhältniß; Sömmerrings rasche Thätigkeit berührte mich mehr; Merck war auch in dieser Liebhaberey mein Geleitsmann. Und so darf ich mich meiner treuen, wenn auch unzulänglichen Bemühungen gern erinnern, jene Epoche mir klar und gegenwärtig denken, nach deren Verlauf ich das Geschäft in den besten Händen sah, um allmählich von der Mitwirkung abzulassen.

Welchen großen Gewinn aber bringen mir nicht jene Arbeiten, da sie mich zur Theilnahme alles dessen was in der Wissenschaft gefördert wird aufrufen, mich befähigen, solche zu prüfen, zu schätzen und mir zuzueignen; besonders mich an allem dem, was Ew. Wohlgeboren durch Meisterhand fördern und ausbilden, zu erquicken und zu beleben.

Höchst erwünscht erschien mir so Ihr zweytes Heft, indem es eine wissenschaftliche Augensalbe enthält, die mich klarer und frischer in die Thierwelt hineinsehen macht, nachdem ich dieses Frühjahr und Sommer über veranlaßt worden, auf das ewige Bilden und Umbilden der Pflanzenwelt meine Aufmerksamkeit zu erneuen.

Auch muß ich noch hinzufügen, daß ich durch neue und erneute Verhältnisse zu Graf Sternberg, Cuvier, Sömmerring in die organische Reste der [22] Vorzeit wieder aufmerksam hineinzusehen gedrängt ward, da mich denn immer Ihre Lehre von den Urerscheinungen begleitete. Faßt man sie recht, so wird uns mit dem Begriff ein stilles heimliches Anschauen des Werdens und Steigerns, Entstehens und Entwickelns immer zugänglicher und lieber.

Persönliche Gegenwart und eine freylich nicht vorübergehende Unterhaltung über diese Gegenstände würde mich schneller dahin führen, wohin zu gelangen kaum hoffen darf. Indessen geschieht ja das viele Gute, Treffliche, wenn ich es auch nicht in seinem ganzen Umfange mir zueignen kann.

Mit dem eifrigsten Wünschen eines fortdauernden Gelingens.

treu theilnehmend

Weimar d. 16. August 1827.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Carl Gustav Carus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8F2C-B