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An Charlotte von Stein

Tiefenort d. 6. Sonnabends Abend.

Hier liebe Lotte geht das alte Lied wieder an, daß nach einem verlebten Tage, nach verändertem Aufenthalt ich dir noch einige Worte zuschicke dich zu versichern daß dir Gedancken zu tausenden zugeflogen sind.

Der Herzog ist auf Barchfeld, ich ziehe einen einsamen Sonntag hier einem gesellschaftlichen dorten vor. Die Prinzen und Prinzessinnen haben sich immer etwas zu sagen, uns andern wird die Unterhaltung bey gewissen Umständen schweer. Dies zeugt nicht von der sichersten Lebensart, doch mag ich's vor der Hand nicht ändern.

Mit Batty hab ich mich diesen Abend vom Detail der Landwirthschafft unterhalten. Wie richtig und[298] sicher der Mensch ist! In Beurtheilung des Bodens und der Landsart nehme ich immer zu. Besonders da ich mir nicht einbilde etwas zu wissen, noch mir einfällt darinne ie zu pfuschen.

Morgen will ich auf den Craynberg wo eine schöne Aussicht ist, und ein alt Schloss, das ich vielleicht zeichne, nur um dir etwas mitzubringen.

Noch zwölf Lange Tage eh ich dich wiedersehe! Ich muß recht leise auftreten daß mir der Gedancke an dich nicht zu lebhafft wird, sonst ist mir's unerträglich.

Noch ein Wort vom Pilatus! Wenn unser einer seine Eigenheiten und Albernheiten einem Helden aufflickt, und nennt ihn Werther, Egmont, Tasso wie du willst, giebt es aber am Ende für nichts als was es ist, so gehts hin und das Publikum nimmt insofern Anteil dran als die Existenz des Verfassers reich oder arm, merckwürdig oder schaal ist, und das Mährgen bleibt auf sich beruhen. Nun findet Hans Caspar diese Methode des dramatisirens (wie sies nennen) allerliebst, und flickt seinem Cristus auch so einen Küttel zusammen und knüpft aller Menschen Geburt und Grab, A und O, und Heil und Seeligkeit dran, da wirds abgeschmackt dünckt mich und unerträglich. Überhaupt bin ich überzeugt daß er es viel zu ernstlich meynt um iemals ein gutes Werck in der Art zu schreiben. In allen solchen Compositionen muß der Verfasser wissen was er will aber nirgends dogmatisiren, [299] er muß in tausend versteckten GestaIten, (niemals grade zu,) andeuten, und mercken lassen wo es hinaussoll.

Noch ist ein böses dabey. Er bildet sich ein, ein besserer Kriste als Klopstock zu seyn, und doch klopstöckelt er allen Augenblick.

Die leidigen Exklamationen, Trümpfe, Zerfleischungen gar nicht mit gerechnet.

Vielleicht bin ich ungerecht, wir wollen warten biß das Ganze kommt und andre hören.

Wenn ein Groser Mensch ein dunckel Eck hat dann ists recht dunckel! Ihm hat die Geschichte Cristi, so den Kopf verrückt daß er eben nicht los kommen kann. Mich wunderts nicht, freylich ists Tausenden so gegangen. Aber auch Wie? Wann? Wo? Wem?

Er kommt mir vor wie ein Mensch der mir weitläufigen erklärte die Erde sey keine akkurate Kugel, vielmehr an beyden Polen eingedruckt, bewiese das auf's bündigste, und überzeugte mich daß er die neusten ausführlichsten richtigsten Begriffe von Astronomie und Weltbau habe; was würden wir nun sagen wenn solch ein Mann endigte: schlieslich muß ich noch der Hauptsache erwähnen, nämlich daß diese Welt deren Gestalt wir aufs genauste dargethan, auf dem Rücken einer Schildkröte ruht sonst sie in Abgrund versincken würde.

Verzeih mir das Gleichniss, in meinen Augen knüpft sich bey Lavatern der höchste Menschenverstand, [300] und der grasseste Aberglauben durch das feinste und unauflöslichste Band zusammen.

Verzeih meine Invecktiven, so offt er seine Anfälle auf unser Reich erneuert, so offt müssen wir uns wenigstens protestando verwahren.

Gute Nacht Lotte. Leb wohl du liebe Gewissheit, du liebster Traum meines Lebens.


Sonntags d. 7. früh.

Ein Husar nimmt dies mit auf Eisenach. Vielleicht erhältst du es eher als den Brief den der Herzog mitbringt. Die Crokus, Leberblümgen, und das Grün der Stachelbeeren machen sehr freundliche Gesichter. Wie wirds erst den 18ten seyn! Bitte! bitte!

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1782. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8F3C-7